Dass „Carnage“ von Nick Cave & Warren Ellis derzeit auf Platz 1 der Jahresbestenliste von Metacritic thront, wurde schon erwähnt. Dahin...

Julien Baker - Little Oblivions


Dass „Carnage“ von Nick Cave & Warren Ellis derzeit auf Platz 1 der Jahresbestenliste von Metacritic thront, wurde schon erwähnt. Dahinter folgen drei Damen: Tamara Lindeman alias The Weather Station mit „Ignorance“, Cassandra Jenkins mit „An Overview On Phenomenal Nature“ und „Little Oblivions“ von Julien Baker. 

„Sprained Ankle“, das Debütalbum der 25-jährigen US-Amerikanerin, wurde bei Platten vor Gericht 2015 übersehen, der Nachfolger „Turn Out The Lights“ erhielt zwar zwei Jahre später eine Vorladung, aber nur eine mäßige Beurteilung (6,250 Punkte). 

„Little Oblivions“ ist nun eine Abkehr vom schlicht arrangierten akustischen Folk der beiden Vorgänger. Julien Baker nahm die 12 Songs in ihrer Heimatstadt Memphis, Tennessee auf und spielte Bass, Schlagzeug, Keyboards, Banjo und Mandoline nahezu selbst ein und war damit ihre eigene Band. Lediglich auf „Favor“, nach „Faith Healer“ und „Hardline“ die dritte Single aus dem Album, hören wir zusätzlich die Stimmen von Phoebe Bridgers und Lucy Dacus, mit denen Baker auch das Trio Boygenius bildet.

Auch stilistisch zeigt sich „Little Oblivions“ deutlich breiter aufgestellt: Indierock, Dreampop, Americana, Shoegaze - das Album weiß in vielen Schattierungen zu glänzen, auch wenn der ein oder andere Kritiker die Purität und damit einhergehende Intensivität der beiden ersten Platten vermisst.


 


Entstanden ist ein Album, das gleichzeitig wie ein düsterer Einsiedler und ein liebender Freund wirkt und in dieser seltsamen Zeit eine tröstliche Wirkung entwickelt.
Es ist ein Segen, dass es Künstler*innen wie Julien Baker gibt, die uns mit derart schonungsloser Offenheit an ihrem Gefühlsleben teilhaben lassen und damit unseren eigenen Emotionen ein Zuhause geben. Die Dinge, mit denen wir kämpfen, waren immer schon da, unsere derzeitige Situation wirkt dabei wie ein Vergrößerungsglas. Das gibt Anlass zur Verzweiflung, aber auch zur Hoffnung, dass irgendwann alles wieder besser wird. 


 


Die üppige und fast vollständig alleine eingespielte Instrumentierung sorgt für einige überraschende Schnörkel: Man achte etwa auf das Banjo in "Heatwave" oder die wirbelnden Drums am Ende von "Bloodshot". Auch reduziertere Stücke wie "Crying wolf" oder der Closer "Ziptie" profitieren von ihrem Pop-Schimmer, weil er ihnen eine willkommene Wärme gibt. Und doch ist "Little oblivions" auf hohem Niveau eine kleine Enttäuschung, was allerdings in erster Linie an der schieren Größe und emotionalen Wucht seiner Vorgänger liegt. Bakers Worte stechen einem nach wie vor glühende Dolche ins Herz, ihr immer noch sehr gutes, aber ein bisschen abgeflachtes Songwriting erreicht eine solche Intensität nur vereinzelt. Die markerschütterndste Symbiose gehen Text und Musik im nur auf Klavier und Stimme beschränkten "Song in E" ein. 




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