19 Jahre Wartezeit zwischen zwei Alben - da dürfen sich Jim und William Reid nicht beschweren, wenn wir mit dieser Revision und unseren Glückwünschen einen Monat verspätet kommen. Denn am 18.11.1985 wurde "Psychocandy", das Debürtalbum von The Jesus And Mary Chain, veröffentlicht. Nachträglich alles Gute zum 40. Geburtstag!

"Psychocandy"
1985, Blanco y Negro Records (14 Songs, 38:55 Minuten)
Dirk:
Was für eine gute Idee, den Sound von The Velvet Underground, The Shangri-Las, The Stooges und Einstürzende Neubauten aufeinander krachen zu lassen.
Was für eine schlechte Idee, Creation Records nach der ersten Single zu verlassen, um zu Blanco Y Negro Records (WEA) zu wechseln und „Upside Down“ dann nicht mit aufs Debütalbum zu nehmen. Das hätten die Gebrüder Reid nur toppen können, wenn sie ursprünglich auch auf „Some Candy Talking“ verzichtet hätten…
Was für ein Glück, dass ich The Jesus And Mary Chain schon mehrmals live sehen konnte (im Gegensatz zu einem Plattenrichter, der gleich zu Worte kommt), einmal spielten sie „Psychocandy“, ein anderes mal „Darklands“ in voller Länge.
Was für eine Schande, dass nicht „Psychocandy“ das erste Album von The Jesus And Mary Chain war, das ich entdeckte. Nur so lässt sich vielleicht meine bescheidene Wertung erklären:
9 Punkte
Ingo:
PvG Revisionen sind manchmal ganz schön anstrengend. Der ein oder andere Backkatalog ist doch arg durchwachsen. In diesen Fällen höre ich mir zumindest den alten Kram zumindest an und gebe meine bestmögliche Bewertung ab. Bei The Jesus And Mary Chain empfand ich die Aufgabe reizvoll. Nicht ganz zufällig las ich kürzlich "Tenement Kid” von Bobby Gillespie. Dort wird diesem Album viel Bedeutung beigemessen. Diese verdient es auch. Die Band hat hier nicht nur ihren Sound definiert, sondern auch ein ganzes Genre mitbegründet.
9 Punkte
Oliver:
Hätte man mich Ende 1985 nach meiner liebsten Platte des Jahres gefragt, wäre die Antwort ganz klar „Hunting High And Low“ von a-ha gewesen – obwohl ich Alben wie „The Head On The Door“, „A Secret Wish“ oder „Hounds Of Love“ durchaus kannte*. Was ich allerdings noch nicht kannte: The Jesus And Mary Chain. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Dirk mir dann später irgendwann mal „Surfin‘ USA“ in der JAMC-Version vorgespielt, was dann meinen Einstieg in den Reid-Kosmos darstellte. Falls mich heute jemand nach meiner liebsten Platte des Jahres 1985 fragen würde – die Antwort wäre ganz klar „Psychocandy“**.
*Im Laufe der Zeit haben diese Platten „Hunting High And Low“ aber überholt.
**Und ja: Vor „Meat Is Murder“. Sogar 6 Plätze davor.
9,5 Punkte
Gesamturteil: 9,167 Punkte

"Darklands"
1987, Blanco y Negro Records (10 Songs, 35:51 Minuten)
Dirk:
1987 kaufte ich meine Schallplatten noch in „Steve’s Musikladen“. Diese stammten in der Regel von Madonna, a-ha oder Duran Duran. Eines Tages fragte mich Steve: „Was ist denn mit dir los, Dirk?“. Für Verwunderung hatten die beiden Platten gesorgt, die ich mir ausgesucht und auf die Ladentheke gelegt hatte: „Substance“ von New Order und „Darklands“ von The Jesus And Mary Chain. Irgendwie steht für mich dieser Tag für meinen Wechsel von Pop zu Indie. Für Steve vermutlich auch. Selten habe ich im Plattenladen (und damit meine ich nicht nur Steves) eine bessere Entscheidung getroffen als an diesem Tag.
Auf „Darklands“ ersetzen die Reid Brüder Bobby Gillespie, der sich um seine Band Primal Scream kümmern wollte, durch eine Drum Machine. William singt statt Jim gleich auf drei Songs („Darklands“, „Nine Million Rainy Days“, „On The Wall“), aber nur im Studio und nicht live. Zu den schönsten Geschichten der Reids zählt, dass sie auslosten, wer singen und bei Konzerten vorne in der Mitte stehen musste. Jim verlor.
„Darklands“ gehört zu meinen 10 Alben für die einsame Insel und diese verdienen natürlich alle
10 Punkte
Ingo:
Es soll Menschen geben, die “Darklands” als das stärkste Album der Band verstehen. Mir ist es im Vergleich zum Vorgänger und Nachfolger zu ruhig und zu poppig.
7,5 Punkte
Oliver:
Auf der „Expanded Version“ von „Darklands“ ist das bereits erwähnte „Surfin‘ USA“ enthalten. Als ich diesen Song mal auf einer Abi-Party* spielte, fanden manche Menschen das gar nicht mal so ruhig und poppig, Ingo. Es war der letzte Song, den ich an diesem Abend spielen durfte. Generell gebe ich dir aber recht – lande allerdings bei …
*Relikte aus der Vergangenheit
8,5 Punkte(n)
Gesamturteil: 8,667 Punkte

"Automatic"
1989, Blanco y Negro Records (10 Songs, 43:26 Minuten)
Dirk:
Nach ihren ersten beiden Alben veröffentlichten The Jesus And Mary Chain eine Compilation namens „Barbed Wire Kisses“ (1988), die Non-Album-Single, B-Seiten, Cover-Versionen und Raritäten zusammenfasste und mir besser gefiel als das anschließende dritte Studioalbum „Automatic“, was vielleicht daran lag, das sie hier mit Synthesizern und Drum Machines experimentierten.
Wenn Jimmy Eat World in ihrem Lied „The Authority Song“ (aus „Bleed American“, 2001) die Textzeile „the DJ never has it, JAMC Automatic“ singen, dann hat das wohl Gründe. Nur zwei Jahre nach der Veröffentlichung pickten sich die Pixies die so ziemlich einzige Perle des Albums, „Head On“, heraus und coverten sie auf ihrem Album „Trompe Le Monde“ (1991). Auch hier übrigens der beste Song auf einem enttäuschenden Album.
7 Punkte
Ingo:
Die elektronischen Elemente tun dem Album ebenso gut wie die Brise Lärm, welche “Darklands” gefehlt hat.
8 Punkte
Oliver:
„Between Planets“ und „Head On“ sind Highlights auf einem Album, das mir im Vergleich zu bluesig und zu rockig klingt.
7,5 Punkte
Gesamturteil: 7,5 Punkte

"Honey's Dead"
1992, Blanco y Negro Records (12 Songs, 42:39 Minuten)
Dirk:
Vielleicht lag es an Alan Moulder und Flood, dass „Honey’s Dead“ trotz des ganzen Krachs so einen Pop-Appeal verströmt, so dass das Album zu meinem drittliebsten der Reid Brüder wurde. Die ersten vier Songs sind wirklich „almost gold“ und viel schlechter wird es danach auch nicht. Einziger Fehler des Albums: Nach der Feedback-Orgie von „Sundown“ folgt noch „Frequency“, eine überflüssige Reprise des Openers. Apropos: „Reverence“ (#10) wurde nach „April Skies“ (#8) zur zweiten und letzten Top Ten Single der Band, bei der im Verlauf der Jahre die Musiker neben Jim und William kamen und wieder gingen.
8,5 Punkte
Ingo:
The Jesus and Mary Chain zu einem aggressiveren Sound zurück, ohne die Melodie aus den Augen zu verlieren und kommen damit meinen Vorlieben nach. „Honey’s Dead“ wirkt wie eine Mischung aus den frühen Noise-Elementen und dem späteren Pop-Appeal.
8 Punkte
Oliver:
Ganz an die Spitze meiner persönlichen Jahreslisten haben es The Jesus And Mary Chain nach „Psychocandy“ nicht mehr geschafft. Top 10- bzw. Top 20-Plätze konnten aber folgen. „Honey’s Dead“ landet in einem guten Musikjahr und in bester Gesellschaft (Curve, The Ecstasy Of Saint Theresa, Heart Throbs) auf Platz 19.
8 Punkte
Gesamturteil: 8,167 Punkte

"Stoned & Dethroned"
1994, Blanco y Negro Records (17 Songs, 47:45 Minuten)
Dirk:
Das Konzept des Compilation-Albums, das Singles, B-Seiten, Coverversionen usw. zusammenfasst, wird erneut nach zwei Alben aufgegriffen. „The Sound of Speed“ (1993) hat aber nicht die Qualitäten von „Barbed Wire Kisses“. Danach wird diese Idee nicht fortgeführt, was sich möglicherweise auch auf die beiden folgenden Alben von The Jesus And Mary Chain auswirkt, denn diese sind mit jeweils 17 Titel einfach viel zu lang geraten. Hätte man sich jeweils 5 Lieder aufgespart, wären zwei stringentere Alben erschienen. „Dirty Water“, „Sometimes Always“ und „Come On“ wären auf einer gekürzten Tracklist natürlich gesetzt gewesen.
„Stoned & Dethroned“ überrascht als akustisch gehaltenes Album mit den Gaststimmen von Hope Sandoval („Sometimes Always“) und Shane MacGowan („God Help Me“) und wurde als Quartett eingespielt.
7,5 Punkte
Ingo:
Mit diesem Album zeigt die Band ihre Wandlungsfähigkeit, aber ich hätte nie nach einem akustischen Album ohne Rückkopplungen von The Jesus und Mary Chain gefragt und vermisst hätte ich es auch nicht.
6 Punkte
Oliver:
Apropos Top 20-Plätze in meinen Jahreslisten: Mit „Stoned & Dethroned“ glückt The Jesus And Mary Chain dies zum vorerst letzten Mal. Wie Ingo hätte ich nach diesem Album auch nie gefragt. Wo ist denn bloß der ganze Lärm geblieben? Aber das Album ist gewachsen. Und im Schatten von „Sometimes Always“ findet man kleine Hits wie beispielsweise „Girlfriend“.
8 Punkte
Gesamturteil: 7,167 Punkte
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"Munki"
1998, Creation Records (17 Songs, 69:28 Minuten)
Dirk:
The Jesus And Mary Chain sind zurück bei Creation Records, dem Label das ihre Debütsingle veröffentlichte. Von Erfolg war dies jedoch nicht gekrönt, denn „Munki“ erreicht als einziges Album der Reids nicht die Top 40 im Vereinigten Königreich. Aber es war wohl von Anfang an der Wurm drin, denn Jim und William waren nicht gemeinsam im Studio und nahmen ihre Songs getrennt voneinander jeweils mit den anderen beiden Musikern auf. So unzusammenhängend klingen die 17 Songs auch, da hilft auch die das Album umfassende „I Love / Hate Rock ‘n’ Roll“-Klammer wenig. „Munki“ sollte das letzte Album der Brüder für fast 19 Jahre bleiben, denn Jim berichtete später aus dieser Zeit: „After each tour we wanted to kill each other, and after the final tour we tried.“
Mit „I Hate Rock ’n‘ Roll“ (bzw. seinem Gegenpol „I Love Rock ’n‘ Roll“) und „Cracking Up“ gibt es aber zumindest zwei Lieder, die auf jede Setliste von The Jesus And Mary Chain gehören. Gaststimmen: erneut Hope Sandoval vo Mazzy Star („Perfume“) und die Reid-Schwester Linda (als Sister Vanilla) auf „Moe Tucker“.
7,5 Punkte
Ingo:
„Munki“ ist das letzte Album vor der langen Pause und nach dem Album haben sich Band und Fans selbige auch verdient. Die Band wirkt zerrissen, experimentiert viel, trifft aber nicht immer ins Schwarze. Es gibt starke Momente, aber auch einige Längen.
6,5 Punkte
Oliver:
Schwer zu bewerten – schlecht ist das Album nicht, streckenweise aber schon sehr lang(atmig) und anstrengend. Sich mit einem Song wie „I Hate Rock’n’Roll“ (in eine fast 20-jährige Band-Pause) zu verabschieden, hat aber was.
6,5 Punkte
Gesamturteil: 6,833 Punkte
"Damage And Joy"
2017, Artificial Plastic Records (14 Songs, 53:05 Minuten)
Dirk:
2007 raufen sich die Reid-Brüder wieder für Auftritte zusammen, beide überstehen sie wohl unversehrt. Mit "All Things Must Pass" wird 2008 sogar ein neuer Song veröffentlicht, aber auf ein Album lassen sie uns weitere 9 Jahre warten. "Damage And Joy" entsteht erneut in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Youth und hat Isobel Campbell, Sky Ferreira und ein weiteres Mal Linda, die Schwester der Reids als Gastsängerinnen dabei. Für ihr siebtes Album greifen Jim und William auch auf zahlreiche ältere Titel zurück: Vom Opener "Amputation", den Jim zuvor bereits solo unter dem Titel "Dead End Kids" veröffentlicht hatte und der erst hier seinen typischen The Jesus And Mary Chain Sound entfaltet, über das erwähnte "All Things Must Pass", welches hier das "Must" im Titel verloren hat, und einige Songs von Jims wenig beachteter Band Freeheat bis zum abschließenden "Can't Stop The Rock", das die Reids für das Sister Vanilla Album ihrer Schwester beigesteuert hatten. Eingruppiert in die The Jesus And Mary Chain Discografie komme ich auf
7,5 Punkte
Ingo:
Nach über 15 Jahren Pause kehren The Jesus and Mary Chain zurück und klingen vertraut. „Damage and Joy“ bietet solide Songs, die sich stilistisch an früheren Werken orientieren. Die Produktion ist sauber, die Melodien stimmen, aber echte Überraschungen bleiben aus.
7 Punkte
Oliver:
File under “Comebacks, die die Welt nicht braucht?” - nicht in diesem Fall.
7,5 Punkte
Gesamturteil: 7,333 Punkte

"Glasgow Eyes"
2024, Fuzz Club (12 Songs, 48:55 Minuten)
Dirk:
7 Jahre Wartezeit - und die Reids sind daran vollkommen unschuldig! Erst kam eine Pandemie und dann verlor ihr Tontechniker das rein digital aufgenommene, komplette Album, da er keinen Backup hatte. Jim und William Reid, die hier wieder mehr mit düsterer Elektronik experimentieren, mussten "Glasgow Eyes" komplett neu aufnehmen. Sie haben ihm vermutlich verziehen, denn William sagt, dass dadurch einige Songs noch besser wurden, so dass ich auch zu folgender Wertung kommen kann:
8 Punkte
Ingo:
Das jüngste Album zeigt, dass die Band auch 40 Jahre nach ihrem Debüt noch kreative Ideen hat. „Glasgow Eyes“ ist experimenteller als erwartet, mit neuen Klangfarben und einem frischen Ansatz. Mein Urteil hat sich seit 2024 nicht geändert.
8 Punkte
Oliver:
Auch ich bleibe bei meiner Bewertung aus dem letzten Jahr. Eine Frage bleibt: Warum habe ich The Jesus And Mary Chain noch nie (wirklich*) live gesehen?
*Der Mini-Auftritt neben vielen Mini-Auftritten anderer Creation-Bands beim Undrugged Festival zählt irgendwie nicht.
7,5 Punkte
Gesamturteil: 7,833 Punkte
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