
Platten vor Gericht fragt - du antwortest (III)
Heute mit: Volker, zweifacher Familienvater und heute nicht ganz so kurz angebunden
Indie-Kids rule the world.
Damit „Have One On Me“ hier nicht ebenso untergeht - bitte ein kurzes Plädoyer.
Ich würde jetzt gerne, wie so manche Zeitschrift, sagen, Joanna ist die Zukunft des Pop, dieses Dreifach-Album ist so viel zugänglicher als alles vorher etcpp. Leider muss ich sagen, wer schon „Ys“ nicht mochte, wird auch mit „Have One On Me“ nur bedingt was anfangen können. Aber ihr könnt es ja trotzdem probieren.
Aber muss es gleich ein Dreifach-Album mit 18, teilweise epischen langen Songs und über 2 Stunden Spielzeit sein?
Stand heute: Nein. Auch mir hätte eine Doppel-LP gereicht.
Angenommen, du würdest den Job übernehmen, für den Frau Newsom wohl leider keinen finden konnte, die 3 Platten auf eine reduzieren zu müssen. Welche 6 Songs würdest du auswählen?
6 Songs sind zu wenig, da gibt es keine Diskussion, aber das Einstampfen auf ein Doppel-Album kann ich versuchen.
Easy
'81
Good Intentions Paving Company
No Provenance
Baby Birch
In California
On A Good Day
You And Me, Bess
Jackrabbits
Soft As Chalk
Esme
Ribbon Bows
Does Not Suffice
Hab jetzt mal an einer Stelle die Reihenfolge geändert, damit dramaturgisch „In California“ und das das Refrainmotiv aufnehmende „Does Not Suffice“ die jeweilige LP abrunden. Für CD-Hörer natürlich relativ irrelevant, aber die kriegen eh weiterhin alle 18 Songs, die können ja skippen ;-).
Früher klang Joanna Newsom stimmlich ein wenig nach Minnie Maus oder Björk auf Helium. Das hat sich jetzt geändert und Kate Bush wird häufig als Vergleich herangezogen. Stimmst du zu und siehst du noch weitere Parallelen?
Also zum einen bin ich scheinbar einer der wenigen, die dieses Quäken immer noch mehrmals vernehmen (man höre nur '81), zum andren stimmt der Kate Bush-Vergleich mittlerweile ziemlich eindeutig, vor allem Kate Bush zu ihrer Anfangszeit, also „Lionheart“, kann man deutlich wiedererkennen.
„'81“ Fan-Video
Hauptveränderung, die natürlich offensichtlich ist, es fehlen die Arrangements eines van Dyke Parks. Leider wie ich sagen muss, da diese nicht unwesentlich zur Klasse des Vorgängers beigetragen haben. Ansonsten ist es sicherlich, wie oben schon erwähnt diskutabel, ob es so viel des Guten hätte sein müssen. An meiner Track-Liste erkennt man schon, dass ich LP1 nahezu komplett übernommen hätte. Ein paar, von mir an anderer Stelle geschriebene Eindrücke zu dieser LP1, zitiere ich dann mal hier.
Die erste Platte ist ganz ganz großartig.
Vom dramaturgisch wunderbaren "Easy", in dem sich nach und nach immer weitere wunderbare Instrumente zum Piano gesellen, beginnend, dem immer noch völlig verwinkelten "Have One On Me", dem (Achtung es klingt fürchterlich, ist es aber nicht, man schließe mal die Augen, stelle sich Joanna in einem langen weißen Kleid vor, evtl wisst ihr dann was ich meine) Mittelalterfilmtauglichen elfenhaften "'81", über meinen derzeitigen Favoriten, dem wunderbar groovig dahin hoppelenden "Good Intentions Paving Co.", dem tollen eingängigen "No Provenance" mit seinem engelsgleichen "...in your arms, in your arms", bis zu dem angenehm reduzierten, doch immer mit kleinen schrägen Sprengseln garnierten und mich erfreulich ans erste Laura Gibson Album erinnernden "Baby Birch", ist da nichts was mich auch nur eine Minute vom Genuss dieser Platte abschweifen ließe.
Besonders positiv überrascht bin ich, der ich einen nicht unwesentlichen Reiz von "Ys" auch an van Dyke Parks Arrangements festgemacht habe, über die wirklich ganz hervorragende Instrumentierung. Da sitzt jeder Ton, kein Instrument ist zu viel oder zu wenig und bei all der überbordenden Vielfalt, wirkt es dennoch nicht eine Sekunde wie Effekthascherei. Toll.
Auf alle drei Alben betrachtet fehlt mir dann van Dyke Parks eben doch ein bisschen.
Volker, klär’ uns doch bitte einmal auf: Was ist eigentlich so besonders an Joannas Ohren?
Ohren? Ohren! Habt ihr nicht die Bilder in der Spex gesehen, wen interessieren da die Ohren (egal, ob man sie nun im Bereich der Feen oder bei den Vulkaniern verortet)?
„Good Intentions Paving Company“ Fan-Video
Man stellt sich vor, wie diese junge, zarte Fee von einer Frau nachts an einem großen Panoramafenster in den Hills über Hollywood steht. Da unten glitzern die Lichter von Los Angeles, kalt und zu weit weg, um sie zu begreifen. Vielleicht hat sie ein Glas Wein in der Hand, vielleicht ist sie einsam, vielleicht träumt sie von den warmen Maisfeldern des Mittelwestens. Oder vom zauberhaften Land Oz. Vielleicht auch nur von dem einen, den sie liebt und der ihr fehlt. Und dann setzt sie sich an ihre Harfe und erschafft einen weiteren dieser wundersamen, wunderschön traurigen Songs, die nun auf ihrem neuen Album versammelt sind. Joanna Newsom, vor zwei Jahren mit ihrem Album "Ys" zur neuen Ikone weiblicher Singer/Songwriterkunst erhoben, ist zurück mit neuen Einblicken in ihr Gemütsleben. "I am no longer afraid of anything, save the life that, here, awaits. I don't belong to anyone. My heart is heavy as an oil drum", singt sie in "In California" mit ihrer hohen, manchmal schneidenden, oft verletzlich wirkenden Stimme über Harfe, Violinen und Piano. Etwas über zwei Stunden lang ist "Have One On Me". 18 Songs, einige bis zu elf Minuten lang, sind auf drei CDs verteilt - ein monumentaler Kraftakt von einem Album, das trotzdem so unbeschwert und kurzweilig wirkt, als bliebe die Zeit einfach stehen, wenn man Joanna Newsom in ihr musikalisches Reich folgt, in dem die Konventionen von Pop außer Kraft gesetzt sind. Sicher, man kann ihre Musik zum Appalachian Folk zurückverfolgen, zu Joni Mitchells frühen Alben, zu Kate Bush und zu Tori Amos, aber keine Analyse ihrer Einflüsse erklärt die Magie, die Joanna Newsoms Gesang und ihre behutsam aufgebauten Lieder entfalten. Wir wagen mal eine Prognose: Mehr Musikalität und Gefühl wird dieses Jahr kaum ein anderer Künstler bieten können.
(spiegel.de)
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