Was ist denn hier zu sehen? Ist jemandem auf einem Konzert der Leoniden eine Kontaktlinse heraus gefallen, weil er zu heftig mit dem kopf n...

Leoniden - Sophisticated Sad Songs


Was ist denn hier zu sehen? Ist jemandem auf einem Konzert der Leoniden eine Kontaktlinse heraus gefallen, weil er zu heftig mit dem kopf nickte, und allen anderen sind einen Schritt zurück getreten, um diese zu suchen?

Nein, klärt mich ein Leoniden-Konzert erprobter Freund und Kollege auf. Das nennt man Moshpit und kurz nach dem Plattencoverfoto gab es Action. Er weiß dies genau, denn im stolzen Alter von - ach, lassen wir das lieber - war er kürzlich auf einem Klubkonzert der Kieler Band in Koblenz zum ersten Mal in seinem Leben Stagediven. 
Was sich die jungen Menschen vor der Bühne wohl gedacht haben, als dieser ältere Herr auf sie zusegelte? Glücklicherweise auf jeden Fall auch „Auffangen!“.  

Mit tanzbarem Indierock und energetischem Synthpop haben Jakob Amr (Gesang), Lennart Eicke (Gitarre), sein Bruder Felix (Schlagzeug), Djamin Izadi (Synthesizer) und Neuzugang Marike Winkelmann (Bass) nicht nur den betagten Herren elektrifiziert (ich vermute, dass er zu „Keep Fucking Up“ die Bühne enterte), sondern sich auch beachtliche Fangruppe erspielt: 2017 erschien über das eigene Label das selbstbetitelte Debütalbum und mit dem folgenden „Again“ konnten erstmals die deutschen Charts erreicht werden (#36). Für ihr drittes Album wählten sie einen etwas sperrigeren Titel („Complex Happenings Reduced To A Simple Design“) und konnten 2021 die Spitzenposition der hiesigen Hitlisten erreichen. Dass sie dieses Kunststück mit dem vor einigen Tagen veröffentlichten „Sophisticated Sad Songs“ wiederholten, verhinderte lediglich „In Liebe“ von Ayliva. 


 


Doch die Kieler Band liebt es selbstironisch, sonst hätte sie den hyperaktiven Nachfolger des Nummer-eins-­Albums „Com­plex Hap­pe­nings Re­duced To A Sim­ple Design“ kaum „Sophis­ti­ca­ted Sad Songs“ genannt. Die Traurigkeit ihrer Lieder verstecken sie jedenfalls wieder hübsch in hibbelig-euphorisch zuckenden Instant-Hits wie „Never Never“, „Neck­lace“ und – besonders gut – „Keep Fu­cking Up“.


 


Neben dem etwas mächtigeren, aber faszinierenden Closer "Tinnitus" kombiniert das knackige "Calculator" zunächst fast unscheinbar drückenden Indie-Rock mit wunderbar funky-tanzbaren Strophen, erinnert in seinem schelmigen, hymnenhaften Gewand ein wenig an die frühen Tage der Band. Und ist damit einer der stärksten Songs auf "Sophisticated sad songs". Einem Werk, das im Vergleich zum etwas wilden Vorgänger "Complex happenings reduced to a simple design" deutlich gestraffter, kompakter und mehr auf den Punkt daherkommt. Und auch deshalb mehr Spaß macht. 


 


Die Songs gehen fix ins Ohr, hoppeln da noch ein bisschen rum und stimulieren das Tanzbein, haben sich dann aber auch schnell wieder verflüchtigt. Daran ändern auch herzerfrischend ungebrochene Wohlfühlsongs wie „Necklace“, das mit Punkgitarren fröhlich vorwärtsstürmende „Never Never“ oder „Keep Fucking Up“ mit seinem Sing-mit!-Refrain nicht wirklich etwas, denn Sing-mit!-Refrains haben alle Leoniden-Songs. Ja, Bubblegum muss auch mal sein, aber gegen Hunger hilft er halt dann doch nicht wirklich.





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