10 Stimmen zum neuen Album von Nick Cave & The Bad Seeds :  1. Tonspion : Musikalisch setzt “Wild God” auf eine Mischung aus üppigen orc...

Nick Cave & The Bad Seeds - Wild God


10 Stimmen zum neuen Album von Nick Cave & The Bad Seeds


Musikalisch setzt “Wild God” auf eine Mischung aus üppigen orchestralen Arrangements, die oft von Chören begleitet werden, und den gewohnt minimalistischen Klängen von Warren Ellis’ subtilen Soundtexturen. Während einige Kritiker die symphonischen Überlagerungen als übertrieben empfinden und sich eine schlankere Bandbesetzung wünschen, wird gerade diese Klangvielfalt als Spiegel für Caves aufwühlende emotionale Reise gesehen.


Das Trauma bleibt jedoch integraler Bestandteil der Musik, die nun, nach dem eher reduzierten, elektronischen Sound der letzten Alben, von den Bad Seeds wieder zupackender zu majestätischer Opulenz aufgetürmt wird – Engelschöre, schwirrende Streicher und Waldhörner inklusive. (…) 
So wird aus dem wilden Gott ein milder Messias.


Die Bad Seeds schrauben sich jedenfalls mit einer Grandezza jubilierend in orgiastische Höhen, die man aus dieser Richtung einfach nicht gewohnt ist. Unterstützt von plüschigen Orchester-Arrangements und gemischten Chören (die anders als früher eben nicht einfach aus den Band-Mitgliedern bestehen) finden die Bad Seeds dabei nicht nur die inbrünstige Präsentation betreffend, sondern auch musikalisch zu interessanten und innovativen Lösungen, die einfach auch handwerklich und konzeptionell begeistern. (…)
"Wild God" zeigt uns einen - dem Leben zugewandten, zelebratorischen - Nick Cave, wie wir ihn eigentlich schon gar nicht mehr für möglich gehalten hätten.


Auch „Joy“, eine ungerade Hymne, handelt von der Euphorie. Hier ist es eine Macht von außen, die den von Schwermut Geplagten nach oben hebt. Cave singt den Blues, wie er es vor vielen Jahren auf THE FIRSTBORN IS DEAD oder YOUR FUNERAL…MY TRIAL getan hat. Wie viel Zunder die Bad Seeds geben können, zeigt das Titelstück über einen wildgewordenen Gott, der seine Leute sucht und sich ins Chaos stürzt.
In der zweiten Hälfte wird das Album zunächst religiös-mysteriös („Conversion“), dann märchenhaft („Cinnamon Horses“), bevor WILD GOD den Modus wechselt: Das wunderbare „Long Dark Night“ hätte auch auf THE BOATMAN’S CALL sein können, das Anita-Lane-Tribute „O Wow O Wow (How Wonderful She Is)“ ist für Bad-Seeds-Verhältnisse Easy-Listening. 


 


5. Laut:

"Wild God" hat alles, was Meisterwerke von Cave auszeichnet: Künstlerische Kohärenz, gleichwohl starke Einzelsongs, mit leichten musikalischen Abzügen bei den beiden ersten Singles, völlige Überforderung und ständige Unterhaltung des Hörers, mehr Ebenen als kalter Hund, man fühlt sich wie im Kino. In seiner ungebremsten emotionalen Wucht vielleicht das beste Album nach "The Boatman's Call" - wären da nur nicht die letzten beiden Lieder, das letzte unnötig, das vorletzte einfach nicht besonders gut.


Cave zwischen Hader und Pracht, zwischen Aufbruch und Einbruch. Die Bad Seeds besorgen dafür einen Klangteppich, in dem sich noch Knoten aus den letzten Werken zeigen, doch sie lösen sich zusehends, ergeben sich keiner mäandernden Innenschau, sondern werden von einem behutsamen Expressionismus abgelöst.
Das Klavier dominiert, Hörner verleihen Songs wie Joy eine alpine Grazie, so man für derlei Erhebungen anfällig ist. Cinnamon Horses feiert das Leben und die Liebe von der Zuckerseite, dazu wabert der Synthie, das kitscht ziemlich. 

7. Mix1

David Fridmann, der schon mit Bands wie The Flaming Lips und MGMT gearbeitet hat, hat das Album gemixt. Der Typ versteht echt sein Handwerk und bringt noch mehr Tiefe und Komplexität in die Sache. (...)
Der Longplayer entstand sowohl in einer entspannten Atmosphäre der Provence, aber auch in der Großstadt London. Kein Wunder, dass man beim Hören das Gefühl hat, auf einer Reise zu sein, bei der man ständig zwischen verschiedenen Welten wechselt. 


 



Nick Cave versucht mit seinen Bad Seeds der anhaltenden dunklen Nacht zu entrinnen. Nachdem der gebürtige Australier den Tod seiner Söhne Arthur Cave und Jethro Lazenby in den Jahren 2015 und 2022 verkraften musste, ist die Zeit gekommen, wieder etwas Licht in das Leben zu lassen. 
Beim 18. Album Seite an Seite mit den Bad Seeds schwankt der bibelfeste, aber nicht gläubige Nick Cave bei seiner Bekehrung zwischen Ungläubigkeit und Bekenntnis. (…) Dementsprechend werden die Vorhänge hastig zur Seite gezogen, damit etwas Sonnenlicht hereinfallen kann und die theatralischen Lieder noch ehrlicher, noch leidenschaftlicher erstrahlen.


Eine spirituelle Verortung, die er auf seinem neuen Album auf eine andere, für Bad-Seeds-Parameter fast verstörende Weise kanalisiert: Lebensfreude und Zuversicht. Nach den beiden in sich gekehrten Vorgängern SKELETON TREE und GHOSTEEN beschreibt der 66-Jährige seinen Schöpfer auf WILD GOD als ausgebrannten alten Mann, der selbst nach dem Sinn seiner Existenz sucht. Cave hat ihn vielleicht gefunden. Oder ist zumindest nahe dran, wie er in geheimnisvollen und Metapher-beladenen Stücken wie dem bombastisch-jubilierenden Titelsong, dem hoffnungsvoll-getragenen ›Long Dark Night‹, dem seiner vor drei Jahren verstorbenen Muse Anita Lane gewidmeten Tribut ›O Wow O Wow (How Wonderful She Is)‹ oder der euphorisch- ergreifenden Gospel-Ballade ›As The Waters Cover The Sea‹ zeigt.

10. Falter:

Seine neueste Messe liest Nick Cave in modifiziertem Tonfall: War der 66-Jährige nach dem tragischen Tod seines Teenagersohnes 2015 lange Zeit mit künstlerischer Trauerarbeit beschäftigt, die seine Musik zusehends in körperlose, ätherische Gefilde führte, kehrt er mit „Wild God“ zu kompaktem, fallweise wuchtigem und meist hymnischem Bandsound zurück. Halleluja!



1 Kommentar:

  1. 8,5 Punkte ( Stand jetzt- kann sich nach mehrmaligem Hören noch verändern).

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