Dass ich im zweiten Corona-Sommer noch ein Festival würde besuchen können, damit hatte ich eigentlich gar nicht mehr gerechnet. Ist aber am ...

Drangsal - Exit Strategy


Dass ich im zweiten Corona-Sommer noch ein Festival würde besuchen können, damit hatte ich eigentlich gar nicht mehr gerechnet. Ist aber am vergangenen Wochenende so geschehen. Sommerwetter inklusive.
Tolle Künstler natürlich auch, auch wenn das Maifeld Derby in seiner zehnten sowie corona-konformen Auflage hinsichtlich der Zuschauermenge und Musikerprominenz Abstriche machen musste. Aber The Notwist, Efterklang oder die vor einigen Wochen vorgestellte Alex Mayr waren schon sehens- und hörenswert.

Freitag Abend sahen wir auch Max Gruber alias Drangsal, der eine Woche zuvor sein drittes Album „Exit Strategy“ veröffentlicht hatte und gleich dreifach Grund zur Freude hatte: endlich wieder Konzerte, tolle Plattenkritiken und Platz 6 (und damit erstmals in den Top Ten) in den deutschen Charts.
Schön, dass seine erste Single nach all den (immer noch berechtigten) Farin Urlaub-Vergleichen bei seinem zweiten Album „Zores“ den Titel „Urlaub von mir“ trug, überraschend, wie einen „Mädchen sind die schönsten Jungs“ zuerst an Blurs „Boys & Girls“ denken lässt, um dann aber Erinnerungen an „Liebe in den Neunzigern“ von Creme 21 wachzurufen. Erstaunlich wie sich 90ies Synthesizer an 80er Klängen abarbeiten, die Grenzen zwischen Indiepop und Schlager zu verschwimmen scheinen und hinsichtlich Kitsch und Pop noch eine Schippe draufgelegt werden kann. Manchmal ist es fast zu glatt poliert und zu viel des Guten. Oh-ooh-oooder?
Neben den oben erwähnten Singles stechen für mich der Titelsong und „Ein Lied geht nie kaputt“ heraus.

„Exit Strategy“ entstand unter prominenter Mithilfe (Sam Vance-Law (Geige), Max Rieger (Gitarre), Ilgen-Nur (Chor-Gesang), Dirk von Lowtzow und Casper (Texte bei „Liedrian“ bzw. „Benzoe“) sowie Produzent Patrik Majer (Lemonbabies, Rosenstolz, Wir sind Helden)) und ist als LP in zwei Auflagen erhältlich (transparentes grünes Vinyl und rosa/rot marmoriertes Vinyl). 


 


Auch Platz zum Prügeln bleibt. Es ist dies kein Jahrmarkt der Eitelkeiten, sondern ein drangsalierter und somit drangsalierender Jahrmarkt der Selbstzweifel – mit druffen Momenten von Übermut, der rasch wieder in sich zusammenstürzt. EXIT STRATEGY sind in Gassenhauer gegossene Depressionen. (…)
Als wäre es nicht schon gesellschaftlich relevant genug, wenn Ex-Macker und Ex-Marilyn-Manson-Jünger Drangsal so offen mit mentaler Gesundheit umgeht: Mit „Mädchen sind die schönsten Jungs“ singt der (inzwischen selbstbewusst bisexuelle) Max Gruber eine Mutmachhymne für (junge) Menschen jenseits der Cisgender-Norm, seien sie nun trans, inter oder auch nicht-binär. „Mädchen sind die schönsten / Jungs / Sind die schönsten Mädchen.“ Ex-Emo-Gothics sind die schönsten Schlagersänger. Der große Pöbler hat uns sein großes Poesiealbum aufgeblättert. Nennen wir es Pop.


 


Aber keine Sorge, alles nur ein Spiel, alles nur ein großer Rummelplatz, auf dem jetzt wirklich alles geht, Spiegelkabinett ebenso wie Geisterbahn. Am Ende sogar Leichtigkeit: »Ich drehe mich ganz schnell, wie ein Karussell, bis mich nichts mehr am Boden hält«, heißt es im wagneresk überschwirrenden und -schnappenden Schlussstück. Ganz großer Pathos-Punk.
Sagen wir so: Wenn sich Die Ärzte demnächst wegen zunehmender Zopfigkeit auf Altenteil zurückziehen, ist der Popstar Drangsal strategisch gut aufgestellt, um ihre Nachfolge für die jüngere Generation anzutreten. Schafft er ganz allein.




5 Kommentare:

  1. Kitsch kann so schön sein! 9 Punkte von mir, weil so ziemlich jedes Lied der Platte bei mir zum Ohrwurm mutiert.

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  2. Zu viel des Guten? Niemals! 8,5 Punkte

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  3. Das mit uns wird leider nichts mehr werden. Keinen Drang das noch mal zu hören.

    4,5

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  4. Ich bin nicht ganz so euphoooo-ooo-oooo-ooorisch. 7 Punkte

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