Ohne Konzept geht es bei Yann Tiersen selten: „Kerber“ ist der Titel seines elften Studioalbums und gleichzeitig eine Kapelle in einem klei...

Yann Tiersen - Kerber


Ohne Konzept geht es bei Yann Tiersen selten: „Kerber“ ist der Titel seines elften Studioalbums und gleichzeitig eine Kapelle in einem kleinen Dorf auf der Insel Ouessant. Dort hat sich Tiersen vor Jahren auch sein Studio The Eskal errichtet und sich von besonderen Orten für die 7 Titel des Albums inspirieren lassen. 

„Kerber“ bleibt über den Verlauf von 48 Minuten instrumental und für seine Verhältnisse ungewöhnlich elektronisch. Zwar ist das Piano das Grundgerüst für alle Songs, jedoch wurden die ursprünglichen Aufnahmen auf Mellotron, Cembalo oder Ondes Martenot nachgespielt, bearbeitet, gesampelt und weiß-der-Tiersen-wie-verändert. Mit Gareth Jones (Depeche Mode, Einstürzende Neubauten) stand ihm beim dreiwöchigen Experimentier- und Verfremdungsworkshop ein versierter Produzent zur Seite, der dabei half zarte Pianostücke und pulsierende Elektronik zu fusionieren.

Die Mathematikerin und Künstlerin Katy Ann Gilmore erschafft - mit Hilfe einfachster Mittel und unter Berücksichtigung von Symmetrien, Formen und Wiederholungen - räumliche Landschaften auf zweidimensionalen Flächen und entwarf auf Grundlage von Yann Tiersens besonderen Orten das sich scheinbar in die Unendlichkeit ausdehnende Plattencover von „Kerber“. Das optische De- und Rekonstruieren funktionierte vermutlich ähnlich wie das akustische Prozedere von Tiersen und Jones.

Kerber“ ist seit Ende August als CD und LP (black Vinyl) erhältlich. Neben einem „Piano Sheet Music Book“ gibt es die Langspielplatte auch in zwei limitierten Auflagen: Unabhängige Plattenläden können white Vinyl anbieten, nur 1000 Exemplare gibt es von clear Vinyl mit einem besonderen PVC-Sleeve.

Yann Tiersen (möglicherweise) in Deutschland:
02.02.2022 Hamburg, Laeizhalle
04.02.2022 Berlin, Tempodrom
09.02.2022 Düsseldorf, Tonhalle
 

 


Einzelne Stücke des Albums gesondert hervorzuheben, macht nur wenig Sinn, denn “Kerber” ist ein Werk, das vor allem als Ganzes beeindruckt und glänzt.  (…)
Elektronische Einwürfe, die sich wahlweise wie Walgesänge oder wie das Zirpen aus fremden Galaxien präsentieren, vereinen sich mit klassischen Piano-Themen, die auch nach Stunden noch in den Gehörgängen ihre zarten Runden drehen.
“Kerber” ist nichts für Freunde des strukturierten Songwritings. Hier geht es nicht um Strophen, Brücken und sich aufplusternde Refrains. “Kerber” ist ein musikalisches Gesamtkunstwerk, das nachhaltig fesselt und dabei keinen gängigen Standards folgt.


  


Yann Tiersen meistert diese Aufgabe, diesen Spagat zwischen Fortschritt und Traditionsbewusstsein, allerdings mit Bravour. Mit 51 Jahren kommt seine kreative Neugier keineswegs zum Erliegen, sondern entwickelt sich konsequent weiter. Nicht zu schnell, um ihm als Hörer weiter folgen zu können, aber auch nicht zu langsam, um das Interesse an ihm und seiner Musik zu verlieren. Und so teilt Tiersen mit „Kerber“ seine Begeisterung, tief in die Produktion artifizieller Sounds eingedrungen zu sein. Gepaart mit seinem Gespür für mitreißende Melodien führt dies zu einer fragilen Spätsommerplatte, voller Enthusiasmus. Zukunftsgewandt, aber stets mit einem flüchtigen Blick über die Schulter hinweg versehen.




4 Kommentare:

  1. Danke für den Hinweis zu dem Piano Sheet Music Book - musste ich mir direkt mal bestellen (meine Klavierlehrerin wird wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen). Das beste von Yann Tiersen seit Langem.

    8,5 Punkte

    AntwortenLöschen
  2. 3 Punkte weniger als für die Klavier-Interpretationen von Oliver. 7 Punkte

    AntwortenLöschen
  3. Der perfekte Soundtrack für eine 46-minütige Fahrstuhlfahrt. 7 Punkte

    AntwortenLöschen