Anna-Lynne Williams hätte eigentlich als Mitglied der Shoegaze/Dreampop-Band Trespassers William einen höheren Bekanntheitsgrad verdient als sie ihn vermutlich tatsächlich inne hat. Sie ist unter anderem auf Alben von The Chemical Brothers oder Au Revoir Simone zu hören und veröffentlicht seit 2008 auch Soloalben. Diese jedoch unter dem Namen Lotte Kestner.
Dabei scheint sie sich ein wenig auf Coverversionen spezialisiert und einen Narren an Depeche Mode gefressen zu haben. In äußerst reduzierten Arrangements trägt sie mit analogen Instrumenten nicht nur Songs der Synth-Popper sondern auch von Daughter (daher passt die Vorstellung des Albums heute auch so gut), Billy Idol, The National oder Beyoncé vor. Ihre Interpretation von deren „Halo“ wurde übrigens in der empfehlenswerten Serie „The Young Pope“ verwendet und steigerte die Bekanntheit von Lotte Kestner. Zumindest ein wenig.
Ihr aktuelles Album trägt den Titel „Off White“ und bewegt sich fast zeitlupenartig im Down-Tempo-Bereich zwischen düsterem Folk und Dreampop. Im Mittelpunkt steht immer Lotte Kestners Stimme, die nur von Gitarre oder Klavier („Secret Longitude“) begleitet werden. Punktuell werden die kargen Arrangements von Streichern („Have You Sailed Home“, „Senses“) oder Synthesizern („Off White“) ergänzt, ohne die intime, nachdenkliche Stimmung zu beschädigen. Ausgerechnet „Go To Sleep Now“ lässt einen kurz aufschrecken, schließlich läuten plötzlich Glöckchen zu dezentem Schlagwerk. Ein Album für Nachtschattengewächse, die sich davon nicht einlullen lassen.
Der Track Ghosts fasst all die Qualitäten Lotte Kestners zusammen. Da wäre zunächst jeder makellose Gesang, der große Intimität und Fragilität ausstrahlt. Nichts scheint leicht über die Lippen zu kommen, alles Fühlen und Grübeln ist von Verletzlichkeit geprägt. Der skeletthafte Sound wird von einem kargen Piano bestritten. Und doch erwächst aus einfachsten Mitteln eine intensive Atmosphäre, für deren Beschreibung man tief in die Schatzkiste jedes Thesaurus greifen muss. Man nehme die Worte gedankenverloren, selbstversunken, weltentrückt und stelle sich all das in einem beklemmenden, zwielichtigen Ambiente vor, dann bekommt man ein Ahnung über das, was Lotte Kestner an emotionalem Tiefgang auffährt. Doch neben all dem stillen Leiden, das eines ihrer Markenzeichen ist, existieren auch hoffnungsvollere Momente. In dieser Hinsicht wäre die angenehme Versonnenheit von In Glass zu nennen. Auch Eight Ball ist eine Offenbarung, weil sich Williams‘ verhallter Gesang wunderbar an diesen sachten Walzer schmiegt.(lie in the sound)
6,5 Punkte
AntwortenLöschenSehr schön. 7 Punkte
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