Vor allem in den 80er Jahren hatten die Charts eine große Bedeutung für mich, denn einerseits wurden jede Woche in der Sendung „Formel Eins“ - damaliges Pflichtprogramm für alle musikinteressierten Jugendlichen - die Top 10 Singles aus Deutschland, England und USA präsentiert und mir gelangen - vor allem im schnelllebigen Vereingten Königreich - zahlreiche Neuentdeckungen.
Mit der Einstellung der Sendung und einem sich verändernden Musikgeschmack, der sich in den Charts nicht widerspiegelte, ließ mein Interesse stark nach und erhielt nur durch die Britpop-Welle - man denke nur an das legendäre Duell Blur vs. Oasis - eine kurzzeitige Renaissance.
Seit bestimmt mehr als zwei Jahrzehnten verfolge ich die Hitlisten nicht mehr und könnte aktuell vermutlich keinen Song aus den deutschen Top 75 benennen.
Jedoch werfe ich gelegentlich, auch in der Funktion als Plattenrichter, einen Blick auf die Album Charts und dort zeigen sich vor allem die hiesigen als höchst kurios, denn nach 35 Wochen des Jahres 2023 standen 33 unterschiedliche Alben auf Platz 1 in Deutschland. „Memento Mori“ von Depeche Mode ist das einzige Album, das sich zwei Wochen auf der Spitzenposition halten konnte, mit „Love Songs“ kehrte Peter Fox nach knapp 2 Monaten noch einmal auf Platz 1 zurück. Ein Kunststück, das auch Linkin Park mit der Neuauflage von „Meteora“ gelang - jedoch 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung.
Von Null auf Eins und in der folgenden Woche ein großer Absturz ist eine der Regeln der deutschen Album Charts, die andere besagt, dass die Genres Rap, Rock und Schlager dominieren. Aktuell steht es 11 : 10 : 5.
So langsam nähern wir uns der heutigen Plattenvorstellung, die nicht nur Regel 1 bestätigt (von Null auf Eins und dann runter auf die Vierzig), sondern auch einen weiteren Trend bestätigt: Denn sowohl Fury In The Slaughterhouse (16 Studioalben), als auch Donots (12), Lord Of The Lost (10) und Madsen (9) erreichten dieses Jahr zum ersten Mal in ihren langjährigen Karrieren die Spitze der Charts.
„Hollywood“ bietet 11 Songs auf CD, Kassette oder LP (black Vinyl, pink Vinyl, curacao Vinyl) und klingt so:
Der Titeltrack, der nicht zufällig auch schon eine Vorab-Single war, ist noch gelungen: Die Zeile „Bau mir ein Hollywood in diese graue Hood“ ist zwar etwas bemüht, die Geschichte von einem einsamen und politisch benachteiligten Kind, das sich erträumt, ein Superheld zu sein, ist aber wunderbar rührend.Ansonsten ist es aber schwer, in das neue Madsen-Album reinzukommen. Wobei einem der Anfang noch mundgerecht serviert wird: „Guten Tag, meine Damen und Herren! Sind Sie bereit für ein bisschen Lärm?“, heißt es direkt im Opener „Ein bisschen Lärm“. Leider klingen Madsen danach tatsächlich wie eine Band, die ihre Zuhörerschaft inzwischen siezt.Wenn dann in „Das Beste von mir“ alles glitzert und leuchtet und strahlt, hat das schon fast etwas von Schlagerfestival. Wenn das Quartett diese Art von Beschäftigung anpeilt, ist es ihnen gut gelungen. Aber die Rockband mit Punk-Einschlägen ist hier viel zu häufig nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Musikalisch wird grundsolide abgeliefert: Wenn man Foo Fighters auf Deutsch übersetzen würde, käme man auch bei "Brücken" raus, Laut-Leise-Dynamik, Tempowechsel und Hymnenhaftigkeit inklusive. Das Songwriting-Team setzt die Kompositionen folgerichtig und schlüssig zusammen, die Rock-Gebrauchsanleitung beherrschen Madsen im Schlaf. Aufregend ist das bloß selten und soll es womöglich auch gar nicht sein. Reste von Hamburger Schule und Uhlmann-Intonation zu Schrammelgitarren-Garnitur lassen sich im netten "Unter dem Radar" erkennen. Ebenfalls anständig: "Heirate mich" (kein Rammstein-Cover) samt lustigem Billo-Zombie-Video. "Yolo", sprach der Boomer. Verunglücktes wie "Das Beste von mir" ist in Ton und Inhalt hingegen komplett vernachlässigbar, hier nervt die rumfiedelnde Lead-Gitarre noch dazu wie Bolle.Oden an die Herzblätter oder die Kindheit, Loblieder auf die Gang ("Der gleiche Weg nach Haus"), ein bisschen Party, aber nie zu doll – Madsen, seit Urzeiten zu drei Vierteln Familienunternehmen und in gleichbleibender Besetzung unterwegs, tun niemandem weh und überfordern mit ihren simplen Wahrheiten noch weniger.
Die weiße Taube schießt "Heirate Mich" ab. Eine Anbiederung an alle Heiratenden da draußen, denen Tim Bendzkos "Sag Einfach Ja" zu subtil erscheint. Ein Song, so romantisch wie das nächste RTL-Hochzeitsformat. "Heut ist ein perfekter Tag / Denk nicht nach, sag einfach ja / Und heirate mich." Nein. Da man im Herzen aber auch auf immer ein wenig Kaugummi-Punk bleibt, ist es zwingend nötig, all dies noch ein wenig mit einem schelmischen Augenzwinkern zu brechen und die Szenerie pseudo-individuell zu gestalten: "Ich finde, wir sind jetzt einfach spontan / Ich bau' dir einen Ring aus Marzipan."Ansonsten: Schlager-Romantik in "Das Beste Von Mir" ("Alles glitzert und leuchtet und strahlt so schön mit dir"), ausgelatschte Bilder in "Brücken" ("Lass uns Brücken bauen / Heraus aus dem Nest / Über Mauern hinweg / In eine neue Zeit") und Öko-Durchhalteparolen für die eigene Seele ("Und ich glaub, die Welt ist noch nicht ganz verloren / Was ein Baum ertragen kann / Ertrag ich auch" ("Der Baum"). Wem das alles zu bieder erscheint, der darf in "Rock'n'Roll" pubertär-revolutionär die Nostalgie des Laternenaustretens, Luftgitarrespielens und Saft-und-Bier-Trinkens feiern. Wobei dieser Song mit seiner melancholischen Stimmung bereits aus dem musikalischen Einheitsbrei, den "Hollywood" bietet, heraussticht.(Laut)
7,5 Punkte
AntwortenLöschen5,5 Punkte.
AntwortenLöschenBei mir kein Blogbuster. 6,5 Punkte
AntwortenLöschenKommt nicht ganz an die letzten Alben ran 7,5
AntwortenLöschenAxel gibt 7
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