Autopanne, Schneechaos, die Bahn war nicht pünktlich oder kam gar nicht - jeder von uns ist, aus unterschiedlichen Gründen, schon einmal zu ...

Charli XCX - Brat


Autopanne, Schneechaos, die Bahn war nicht pünktlich oder kam gar nicht - jeder von uns ist, aus unterschiedlichen Gründen, schon einmal zu spät zur Arbeit erschienen. - Aber 8 Monate und 20 Tage? So lang hat Volker schon nicht mehr den Gerichtssaal betreten!

Was können wir also tun, um ihn wieder einmal in diese heiligen Hallen zu locken? Vielleicht mehr Plattenvorstellungen aus den Bereichen Folk und Country? Oder doch seiner - in einem investigativen Interview auf RTL entlockten - geheimen Leidenschaft Jazz mehr Platz bei Platten vor Gericht einräumen? 

Nein, ich hab’s, wir schieben doch noch das Pop-Album des Jahres ein, denn außer Volker versteht hier keiner Pop. Das muss ihn doch ködern!

„Brat“ ist das sechste Studioalbum der englischen Musikern Charli XCX, die eigentlich Charlotte Emma Aitchison heißt, und tummelt sich auf 15 Songs irgendwo zwischen Elektroclash, Rave, Dance und Hyperpop. Wenige Tage nach der Veröffentlichung am 7. Juni gab es eine DEluxe Version mit drei zusätzlichen Songs, die den Titel „Brat and It's the Same but There's Three More Songs So It's Not“ trägt.
Bereits 10 Monate vor der Albumveröffentlichung startete die Promotion-Maschinerie, die zu einer Meme-Welle bezüglich des Plattencovers führte, die letztendlich sogar die Präsidentschaftskampagne von Kamala Harris erreichen sollte, und einen kulturellen Trend, Brat Girl Summer genannt, auslöste, der für eine Abkehr von der Clean Girl-Ästhetik steht und stattdessen einen unbekümmerten, wilden Party-Lifestyle zelebriert. 
Ein Video („360“) mit It-Girls wie Chloë Sevigny, ein Feature von Billie Eilish („Guess“), Remixe von Lorde oder Robyn („Girl, So Confusing“ bzw. „360“) und textliche Anspielungen auf Beziehungen mit Marina Diamandis, Rina Sawayama oder Lorde („Girl, So Confusing“) bzw. Taylor Swift oder Matt Healy von The 1975 („Sympathy Is a Knife“) fachten den Hype um „Brat“ noch weiter an.  

Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in den USA knackte „Brat“ daraufhin die Top 3. Noch begeisterter zeigten sich die Musikkritiker, denn aktuell führt das Album die Jahres-Charts bei Metacritic an. Der aktuelle Metascore von 95/100 ist gleichbedeutend mit Platz 16 aller in diesem Jahrtausend dort erfassten Alben.

Wir freuen uns auf Volkers fachliche Einschätzung zu „Brat“ und schauen uns - bis diese eintrifft - auf TikTok an, wie er die Dance-Moves zu „Apple“ nachahmt.
 

Aber trotz der Vorabsingles wie eben „360“, dem treibenden „Club classics“ (sein Name ist Programm und zitiert Eurodance, Dubstep und vor allem die Art von Ekstase, wie man sie nur auf dem Dancefloor findet), der düsteren Heartbreak-Hymne „B2b“ oder „von dutch“ (wie auch „mean girls“ eine Reminiszenz an Bloody Beetroots, Ed Banger und die Ästhetiken der Nullerjahre), die den Eindruck einer basslastige Raveplatte vermittelten, ist „brat“ auf der nun veröffentlichten vollen Länge gespickt mit verletzlichen und nachdenklichen Momenten, auf denen sich Charli xcx mit eigenen Unsicherheiten, Imposter-Syndrom und Selbstzweifeln auseinandersetzt.
Die kommen zwar auch mal im Dance-Outfit daher, aber beispielsweise etwa bei dem SOPHIE-Nachruf „So I“, oder der grandiosen Meditation über pro und contra des Kinderkriegens „I think about it all the time“ auch ganz still und zart. Charli xcx ist ein Chamäleon des Pop – aber genau deswegen auch vielleicht die wahrhaftigste aller Popprinzessinnen und -prinzen: wo andere Authentizität performen, setzt sie auf das Spiel mit der absoluten Oberflächlichkeit. Und lässt damit ihr Publikum so nah an sich heran wie niemand sonst. Die vielleicht jetzt schon beste Popplatte des Jahres.


 


 




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