Wenn die Anzahl (oder besser Vielzahl) der veröffentlichten Songs über die Einstufung eines Albums entscheiden würde, dann stünde "Rebel Heart" am Ende des Jahres ganz hoch in jeder Bestenliste. Denn neben den 14 regulären Titeln offeriert die Deluxe Edition 5 weitere und die Super Deluxe Edition 4 zusätzliche Lieder (plus 2 Remixen). Macht also zusammen 23 neue Lieder von Madonna. Denkste! "Auto-Tune Baby" wird zudem exklusiv bei zwei großen Elektrohandelsketten als Bonustrack angeboten.
Wenn aber der Medienrummel, der vor der Veröffentlichung eines Albums einsetzte, den entscheidenden Ausschlag für ein solches Ranking darstellen würde, dann wäre "Rebel Heart" Dank des Leaks von mehr als 30 Demo- oder So-gut-wie-fertig-Versionen im letzten Dezember und denen sich daran anschließenden Reaktionen und Diskussionen sicherlich am Ende dieses Jahres die Nummer 1.
Sollte aber weder die Quantität noch die Medienpräsenz entscheidend sein, sondern die Qualität der Songs und deren Darbietung, dann ist "Rebel Heart" - trotz aller Gastmusiker und hippen Produzenten, probierter textlicher und medialer Provokationen und Zeitgeist-ich-schnapp-dich-Versuche - auf jeden Fall nicht noch schlechter als Madonnas letzte Alben "Hard Candy" (2008) und "MDNA" (2012). Zumindest das.
Vielleicht sollte man sich aber auch aus dem Überangebot an Songs seine liebsten 12 selbst heraussuchen, neu kombinieren und den großen Rest einfach vergessen, wie es der Kritiker bei Pretty Much Amazing getan hat.
Nun denn, hier ist mein "Rebel Heart":
1. Addicted
2. Devil Pray
3. Living For Love
4. Ghosttown
5. Bitch I'm Madonna
6. Borrowed Time
7. HeartBreakCity
8. Body Shop
9. Inside Out
10. Rebel Heart
11. Veni Vidi Vici
12. Wash All Over Me
19 Lieder hat sie für ihr neues Album "Rebel Heart" aufgenommen. Das sind einige zu viel – aber nur ein paar. Es ist ihr bestes Album seit "Ray Of Light" aus dem Jahr 1998. Sie hat wieder Songs geschrieben. "Ghosttown", "Wash All Over Me", "Body Shop" oder "Heartbreak City" sind von Gitarren und Klavieren getragene Lieder, die durchaus an Klassiker wie "Live To Tell" erinnern. "Devil Pray" klingt sogar so, als hätte Quentin Tarantino sie gebeten, "The House Of The Rising Sun" für seinen nächsten Western zu adaptieren. In "Joan of Arc" schließlich singt sie zum Niederknien schön.
In ihren neuen Liedern geht es ständig um Ikonen und historische Figuren, also um sie selbst. Sie singt über Verletzungen, Vergänglichkeit und Leute, die jeden Schritt von ihr anzweifeln und ihre Seele beschmutzen. Sie singt vom Versuch, ein Mensch zu bleiben, auch wenn ihr jeder Mensch den Rücken zukehre. Madonna reist zurück in ihr Ich. Unterwegs reflektiert sie sich sich selbst und gönnt sich zwischen ihren Klagen und Anklagen auch wieder mehr Spaß und Selbstironie. "Unapologetic Bitch" beispielsweise überrascht als lockerer Reggae, im Titelsong amüsiert sie sich über den Narzissmus ihrer frühen Jahre. Man ist geradezu geneigt, das ganze Album für unverkrampft und authentisch zu halten.
Dass es auf dem Album auch ein paar weniger rühmliche Ausnahmen gibt, soll hier nicht verschwiegen werden. In Songs wie "Illuminati" oder "Bitch, I'm Madonna" musste es dann doch wieder Zirpen und Fiepen und Wummern bis zur Atemnot. Und dann ist da noch ein Lied, das man schon hundertmal von ihr gehört hat, mindestens. Es heißt wie ihr 1997 veröffentlichter Fotoband mit Aktfotos: "S.E.X." Dafür klingt es wie Donna Summers "I Feel Love" auf allerneuesten Partydrogen. Madonna singt Zeilen wie "Oh my God, you're so hot, I am on top". Undsoweiterundsofort.
(Welt)
„Rebel Heart“ ist nicht nur die tollste, frischste und inspirierteste Platte, die Madonna seit ewiger Zeit vorgelegt hat – sagen wir einmal: seit „Ray of Light“ –; es ist auch ein Werk, das in der erstaunlichsten Kohärenz aktuelle avantgardistische und zum Mainstream gehörige Produktionstechniken, Klänge, Dramaturgien und Beats miteinander versammelt und diese einerseits zu einem Panoramagemälde des Pop der letzten fünf Jahre verpinselt sowie andererseits zu einem Gesamtkonzept verdichtet, in dem es immer um eines geht: um die Künstlerin selbst, um ihr Ego, ihre Geschichte, ihren Behauptungswillen, ihre Zickigkeit, Zartheit, Verletzlichkeit, um ihre durch nichts anderes zu ersetzende Stimme.
Auf „Rebel Heart“ singt Madonna die schönsten und euphorischsten Ego-Hymnen, die man sich vorstellen kann („Ghosttown“, „HeartBreakCity“). Aber sie stürzt sich auch rückhaltlos in die ent-individualisierenden Welten des Autotune-Pop („Illuminati“; „Bitch I’m Madonna“) und des in widerstreitenden Tempi zugleich in die Zukunft voranstolpernden Trap („Living for Love“ und insbesondere „Iconic“).
(...) Man höre, wie Diplo in den entspannten Dub Reggae von „Unapologetic Bitch“ schön alberne Vuvuzelasequenzen hineintröten lässt; oder wie er in „Living For Love“ ein weiches Deep-House-Arrangement mit metallen-mäkelnden Störgeräuschen kontrastiert.
Am besten ist Diplo aber „Bitch I’m Madonna“ gelungen, das Duett mit der Rapperin Nicki Minaj: Von den Stimmen der beiden Sängerinnen ist hier nämlich kaum etwas übrig geblieben, so heiter und hektisch drehen er und sein Ko-Produzent Sophie sie durch den Autotune-Wolf.
(Frankfurter Rundschau)
4 Punkte
AntwortenLöschenEs gab ja kurz danach noch so ein anderes wohl inoffizielles Madonna Album Revolutionary Heart. Das hat mir tatsächlich besser gefallen. Hier 6,5 Punkte
AntwortenLöschenHier hätte es sich wirklich gelohnt, die über 20 Songs auf 2 Alben zu verteilen!
AntwortenLöschenPlatte 1: Die Songs, die sich dem Zeitgeist anbiedern (3 Punkte).
Platte 2: Die Songs für die älteren Semester (7 Punkte).
Durchschnittlich also: 5 Punkte