Ich bin dann mal so frei: Frei vom Druck der Plattenfirma hätten Polarkreis 18 aufgrund ihres kommerziellen Erfolges eigentlich wieder ein ...

Polarkreis 18 - Frei

















Ich bin dann mal so frei:
Frei vom Druck der Plattenfirma hätten Polarkreis 18 aufgrund ihres kommerziellen Erfolges eigentlich wieder ein experimentierfreudiges Album vorlegen können. Doch weit gefehlt. Die Dresdener setzen auf Nummer Sicher und veröffentlichen ein konturloses und vorhersehbares orchestrales Popalbum, das sich dem bewährten Rezept mit deutschen Textfragmenten im Refrain eines ansonsten englischen Textes ausgiebig bedient: "Frei", "Unendliche Symphonie" und "Deine Liebe".
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass der ebenfalls eingängige Titelsong eine weitere Single wird, trotz seiner fürchterlichen Reime (Frei frei, everyday I cry, I still cry my fears into the night, I fail at myself, ich bin frei). Aber "Deine Liebe" mit seinen quietschenden 80er-Keyboards und Modern Talking Eunuchengesang gehört mit zum Schlimmsten, was 2010 aus meinen Lautsprechern drang. Man müsste einmal überprüfen, ob dieser Song nicht tatsächlich schon auf einem Album von Dieter und Thomas zu finden war. Aber wer würde diese Aufgabe schon freiwillig übernehmen? Und wer wird sich freiwillig "Frei" anhören?

Derjenige sollte auf jeden Fall bis zur zweiten, besseren Hälfte der Platte durchhalten. Denn mit "Letting Go" (Dank seines Gitarren-Ausbruchs am Ende), "Sleep Rocket" und "Dark And Grey", welches, um es positiv auszudrücken, das erste Album zitiert, findet sich zumindest einige Songs, die sich qualitativ mit den ersten beiden Platten von Polarkreis 18, die ich eigentlich sehr schätze, vergleichen lassen.
Als ich vor einigen Tagen im Musikexpress las, dass "Frei" einen historischen Tiefstwert im "Krieg der Sterne" erzielte (1,22 Punkte im Schnitt), dachte ich noch, dass man sich dort abgesprochen und auf die Band eingeschossen hätte. Doch wer von "Frei" begeistert ist, steht mit seiner Meinung sicherlich ziemlich allein allein.




Die limitierte Version kommt als Mini-Buch und bietet als Downloadmöglichkeit das Video zur ersten Single sowie die beiden Songs "Next To You" (im Vergleich zu den bombastischen Songs auf "Frei" regelrecht minimalistisch gehalten - hätte dem Album gut zu Gesicht gestanden) und eine Live-Version von "Rainhouse", die beweist, dass Polarkreis 18 den experimentierfreudigen Radiohead näher stehen könnten als dem glatt polierten Charts-Einerlei.

Die musikalische Entsprechung sind größtenteils überlastet wirkende Pop-Paläste, immense Opulenz und schmachtendes Falsett. Man wähnt die Norweger a-ha im örtlichen Kirchenchor. Aus Franz Schuberts "unvollendeter Sinfonie" wird eine "unendliche Sinfonie". Das verstiegene Abenteuer der ersten Platte scheint längst Vergangenheit zu sein, der unbändige Triumph des Zweitlings (Platz eins der Single-Charts) zappelt nervös durch die ersten Songs.

Unbedingt noch besser sein, noch dramatischer, noch mehr Streicher! Ausreizen, überdrehen. Die zweite Hälfte des Albums wirkt dann aufgeräumter und konzentrierter. Das Bombast-Gewitter ist vorübergezogen. Der Gesang zieht durch gestrandete Balladen, bis alles in einem monotonen Brummen endet. Eine typische Platte nach einem Hit: Sie hat es nicht und macht es sich auch nicht leicht. Beziehungsstatus: schwierig - aber letztlich respektabel gelöst.
(intro.de)

6 Kommentare:

  1. Sehr schön... also die Vorstellung, wohl kaum das Album. Gibt es eigentlich inzwischen eine "politisch unproblematische" Erklärung für die "18" im Namen der Band?

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  2. Ich hatte schon bei Album zwei gesagt, daß das nach Modern Talking klingt.

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  3. Es gab doch mal eine Erklärung mit einer Polarexpedition Nummer 18, ich erinnere mich nicht mehr genau. Nicht furchtbar clever, am Bandanfang die 18 zu wählen, jetzt kann man das aber nicht mehr rückgängig machen.

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  4. Ich habe mal gelesen, die 18 steht für 8 Zehen. Irgendein Familienangehöriger eines Bandmitglieds hat danach auf einer Polarexpedition 2 Zehen verloren. und zehn zehen minus zwei Zehen gleich 18. Hmm, komische Rechnung dies.

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  5. „Deine Liebe“ ist der schrecklichste Song, den ich in diesem Jahr gehört habe.
    Die erste Hälfte des Albums ist deutlich schwächer (3 Punkte) als die zweite (6 Punkte).
    Ergibt also 4,5 Punkte.

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