Eine Bredouille bezeichnet eine Verlegenheit, eine Schwierigkeit oder ein Bedrängnis. Dass Helgen mit ihrem zweiten Album hier punktemäßig nicht in die Bredouille geraten werden, dafür wird unser Plattenrichter Volker, der ihr Debütalbum „Halb oder gar nicht“ unter den Top 20 seiner Lieblingsalben 2017 hatte, sorgen. Kein Wunder, denn fluffiger, melodischer deutscher Gitarrenpop/-rock hat ihn schon immer zum fröhlichen Mitwippen gebracht und in den letzten Jahren Herrenmagazin, Isolation Berlin, Von Wegen Lisbeth, Tom Liwa, Mikroboy, Max Prosa, Die Höchste Eisenbahn, Faber, 100 Meter links, Gisbert zu Knyphausen usw. usf. in seine Bestenlisten gespült.
Ich selbst kannte das Debütalbum gar nicht und habe mich erst letztes Jahr vor dem A Summer’s Tale Festival ein wenig in die Band reingehört. Während ihres Auftritts in Luhmühlen haben mich Helge Schulz (Gesang, Gitarre), Niklas Beck (Bass) und Timon Schempp (Schlagzeug) klanglich sehr an Die Höchste Eisenbahn erinnert. Auf „Die Bredouille“ gelingt ihnen das aufgrund ihres soften, leicht groovigen 70s Flairs teilweise erneut. So zum Beispiel auf „Dumme Ideen“, „Mach dir keine Sorgen“ oder dem instrumentalen „Trick Track“, mit dessen Titel Helgen zeigen, dass sie sich auch mit dem Ursprung des Backgammon Spiels und des Begriffs Bredouille auskennen. Als Anspieltipps hätte ich jetzt neben dem Titelsong genau die Songs vorgeschlagen, die Helgen vorab veröffentlicht und mit einem Video bedacht haben:
Ein paar zwingendere, rockige Tracks finden sich zwischendurch ein und lockern das Geschehen auf. „Dumme Ideen“ verlangt förmlich nach Bewegung, gibt sich hibbelig, wippt scheinbar ununterbrochen auf und ab, wirft dazu einen großartigen Refrain ab. Einen solchen hat auch „Die Geigenzähler geigen“, dessen tiefenentspannter Sound irgendwo mit Klaxons und Everything Everything anbandelt. „Woran hat es gelegen“, fragen Helgen im Anschluss. Eigentlich egal, das Gefühlszentrum ist bereits getroffen. Tatsächlich bietet „Die Bredouille“ mehr von allem, wirkt größer und lebendiger als sein bereits packender Vorgänger. Gerade der ohnehin etwas andere Gitarrenpop-Ansatz, der durchaus britische und nordamerikanische Vergleiche mit sich zieht, weiß zu begeistern. Synthetische Einfälle auf Gitarrenbasis, epische Leisetreterei und smoothe Operateure treffen sich zum Reigen der understateten Grandezza. Falls sie es bislang noch nicht gewesen sein sollen, dann eben jetzt: Helgen sind angekommen mit einer der bisher besten Platte des Jahres. Und wie.
Das von Sounds & Books bereits als Song des Tages vorgestellte „Tschüss“ kristallisiert sich als der alles herausragende Song des Albums. Die elegante, schwermütige und erhabene Ballade schwebt auf sanften Keyboardklängen und vermittelt perfekt den letzten Stoßseufzer des Abschieds und evoziert auf schönste Weise die Einsamkeit. (…) Häufig umweht die Helgen-Songs der Hauch der Sixties-Seventies-Psychedelia, der sich bei „Wie gut, dass du spinnst“ ins feierliche Pathos emporhebt. Das hat alles schlicht Stil und Klasse auf diesem Album. So gut, dass sich Helgen einen verspielt-jazziges Instrumental wie „Trick Track“ leisten können und dabei Westküstenentspanntheit suchen. Als hitverdächtig entpuppt sich das farbenfrohe und schillernde „Der Grashalm im Orkan“, während „Die Geigerzähler geigen“ den Klimawandel auf den Punkt bringt.
Helgen (möglicherweise) live:
24.09.20 Freiburg, Swamp
25.09.20 CH-Aarau, KIFF
27.09.20 Langenberg, KGB
28.09.20 Münster, Pension Schmidt
29.09.20 Mainz, schon schön
30.09.20 Leipzig, Täubchenthal
01.10.20 Dresden, Ostpol
02.10.20 AT-Wien, Rhiz
04.10.20 Stuttgart, clubCANN
05.10.20 München, folks! club
06.10.20 Nürnberg, club Stereo
08.10.20 Bremen, Pusdorf Studios
09.10.20 Husum, Speicher
10.10.20 Lübeck, Rider’s Café
12.10.20 Berlin, Privatclub
13.10.20 Hannover, Lux
14.10.20 Köln, Tsunami Club
15.10.20 Düsseldorf, The Tube
16.10.20 Hamburg, Molotow
6 Punkte
AntwortenLöschen6
AntwortenLöschenMeine Wertung bringt niemanden in die Bredouille: ebenfalls 6 Punkte
AntwortenLöschen5,5 Punkte
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