Es ist viel passiert im Leben der Emiliana Torrini, seitdem sie im September 2008 ihr Album "Me And Armini" veröffentlicht hat: Im März 2009 trat sie mit ihrem Song "Jungle Drum" im Finale von Germany's Next Top Model an und wurde zur eigentlichen Siegerin dieser Veranstaltung, denn der Song kletterte für eine lange Zeit auf Platz 1 der deutschen Single Charts und wurde mit Platin ausgezeichnet. Auch das dazugehörige Album zog nach und erreichte ein Jahr nach seiner Veröffentlichung mit Rang 19 seine höchste Platzierung.
Im März 2010 brachte sie ihr erstes Kind zu Welt, doch mit dem Komponieren neuer Titel wollte es nicht so recht funktionieren. Emiliana Torrini spricht selbst von einer Schreibblockade aufgrund des hohen Drucks, den sie sich selbst auferlegte.
Doch gemeinsam mit ihrem Produzenten Dan Carey (Bloc Party, Franz Ferdinand), der sie auch schon auf "Me And Armini" betreute, entstanden über einen Zeitraum von drei Jahren 9 neue, sehr unterschiedliche Songs, die offensichtlich nicht versuchen den Erfolg von "Jungle Drum" zu wiederholen: einerseits gibt es wieder die zerbrechlich wirkenden, spärlichen, akustischen Balladen ("Caterpillar", "Autumn Sun"), denen andererseits, passend zum Plattencover, einige experimentellere Songs gegenüberstehen.
Während der Opener "Tookah" mit einem dezenten Beat unterlegt wird und an Kylie Minogues "Slow" erinnert, das von Torrini und Carey mitkomponiert wurde, lassen "Animal Games" und die Single "Speed Of Dark" an Lykke Lis Elektro-Indie-Pop denken und die Discokugel rotieren. Das abschließende "When Fever Breaks" ist eine überdrehte, siebeneinhalb minütige Soundcollage, die gleichzeitig auch der erste Song für das Album war. Gut, dass diese Richtung nicht beibehalten wurde.
Die Deluxe-Version von "Tookah", das ein selbstkreiertes Wort ist für Emiliana Torrini so viel bedeutet wie „Spiritualität, Reinheit der Seele und Dankbarkeit“, hat ein Hardback-Buchcover und enthält den Bonustrack "Echo Horse (History Of Horses)". Emiliana Torrini sagt, dass der Song ausgespart wurde, da er den Lauf der Platte zerstören würde. Diesen Lauf hört sie jedoch vermutlich nur selbst.
Hier ist "Tookah" im Stream.
Auf ihrem sechsten Studioalbum präsentiert sich die Isländerin nämlich als überaus vielseitige Künstlerin, die ein verdammt großes Spektrum abbildet. Als da wären mystisches, elektronisches und leicht housiges Dub-Geblubber im Titeltrack und als letzte Spuren auch in "Animal games" sowie klassischere Singer-Songwriter-Stücke wie "Caterpillar" und "Autumn sun", die kaum mehr als eine Gitarre und ein sanftes Schlagzeug benötigen, um die schönsten Bilder zu entwerfen. Hinten raus wird "Tookah" sogar noch ein wenig anspruchsvoller und gibt sich zum Glück nicht mit allzu leichten Antworten auf die Frage, wohin Torrini in Zukunft gehen könnte, zufrieden. "Blood red" ist ein schweres, ausladendes melancholisches Rotwein-Stück, das die Platte doch noch ins Dunkelblaue zieht. Und "When fever breaks" ist abschließend das experimentelle Highlight des Albums, basierend auf treibendem Bass und Percussion.
Diese Vielseitigkeit ist allerdings Segen und Fluch zugleich. Denn ein richtiges Gefühl will die Platte für sich gar nicht erst aufkommen lassen. Torrini versammelt auf "Tookah" zehn Einzelstücke, die nicht so wirklich zusammenwachsen. Viele Songs funktionieren für sich genommen sehr gut, vor allem in den ruhigeren Momenten kann Torrini ihre Stärken wunderbar ausspielen. Die tanzbareren Stücke entpuppen sich hingegen als Achillesferse des Albums. Bei "Speed of dark" verschwimmt Torrini gar so sehr mit dem Plastik-Eurodance, dass die Frau kaum noch zu identifizieren ist - ganz klar der schlechteste Song auf einer Platte, die zu viel auf zu engem Raum beweisen möchte. Etwas mehr stilistische Kompaktheit hätte "Tookah" sehr gut getan. So aber schwächt dieses Album seine Stärken ganz eigenhändig.
(Plattentests)
Die Krisenbewältigung und der dreijährige Aufnahme-Prozess lieferten als Ergebnis ein ungewohnt elektronisches Album. Ihre charakteristischen sanften Melodie-Bögen und folkigen Akustik-Stücke enthält die Platte zwar noch zu Hauf, doch Torrini entdeckte auch den Synthesizer für sich und spielte ein wenig damit herum.
Richtig krass fällt dabei "Speed Of Dark" aus ihrem bisherigen Schaffen heraus. Mit buntem 80er Synthie-Pop erinnert sie an die Damen von Ladytron. Auch wenn der Titel für weitere Unruhe im ohnehin schon wechselhaften Klangbild sorgt, einen potenziellen Hit beschert er der Sängerin allemal. Noch dazu geht er nach mehrfachem Hören weitaus weniger auf die Nerven als "Jungle Drum" seinerzeit.
Der Titeltrack "Tookah" hingegen bewegt sich mit der seiner feinen Elektronik abseits des Repertoires der populären Radiostationen. Dafür nähert er sich mit seiner hypnotischen Wirkung und dem beschwörenden Anruf der selbst geschaffenen Gottheit den weniger experimentellen Stücken von The Knife an.
"Caterpillar" und "Autumn Sun" lullen den Hörer in eine verträumte Akustik-Wolke ein. Diese beiden reduzierten Stücke huldigen sanft der Schönheit der Natur. Kurze Zeit später verdunkelt sich allerdings die harmonische Stimmung auf "Tookah".
In "Elísabet" breitet sich die Melancholie mit erstickenden Synthies wellenförmig aus. In "Animal Games" zerfetzt die Isländerin über jagenden Percussions die idyllischen Naturbilder, die sie in den ruhigeren Stücken zeichnete: "Now you're scaring off the doe / Killing off the sparrow / Howling like a wolf / Poisoning the arrow."
Ganz gelingt der Spagat zwischen Synthie-lastigen Tracks und ihrer zerbrechlichen Folk-Seite leider nicht. Ein fesselnder Spannungsbogen mag sich nicht so recht aufbauen, dafür wirkt die Zusammenstellung etwas zu beliebig.
Eine großartige Songwriterin steckt in Emiliana Torrini aber ohne Frage nach wie vor, weshalb jeder ihrer Songs vom Disco-Kracher "Speed Of Dark" über den gefrickelten Sieben-Minüter "When Fever Breaks" bis zu einem schlichten Pop-Song wie "Home" für sich allein glänzt, selbst wenn sie sich nicht zu dem stimmigen Hörerlebnis zusammenfügen, das man sich vielleicht erhofft hatte.
Am Ende bleibt ein heterogenes Gesangbuch voll lebensbejahender Natur-Oden, mystischer Beschwörungsformeln und - etwas überraschend und unterschwellig - dunkler Flüche: "I will kill you", flüstert sie zum Abschied.
(laut)
03.11.13 Berlin, Huxleys Neue Welt
05.11.13 Köln, Gloria
09.11.13 München, Theaterfabrik
7 Punkte
AntwortenLöschenGut, aber nicht sehr gut.
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