Liebe Alison , lieber Will , vielen Dank dafür, dass ihr den unsäglichen Italo-Disco-Ausflug "Head First" (20...

Goldfrapp - Tales Of Us

















Liebe Alison, lieber Will,

vielen Dank dafür, dass ihr den unsäglichen Italo-Disco-Ausflug "Head First" (2010) nun vergessen macht und euch für "Tales Of Us" am Stil eurer beiden stärksten Alben, "Felt Mountain" (2000) und "Seventh Tree" (2008), orientiert. So können wir uns auf eurem sechsten Album sowohl an der cinematoscopischen Weite eures Debüts erfreuen ("Drew", "Alvar"), die Will wieder mit tollen Streicherarrangements aufmotzt, als auch an intimen, dem Folk nahe stehenden Titeln ("Annabel"). 
Alison gibt sich wieder als sirenenhafte Kate Bush, "Thea" schwimmt mit seinen stampfenden Sounds gegen den elegischen Strom und ihr habt uns einerseits wieder den ein oder anderen kleinen Hit geschrieben, der jedoch nur in unserer Welt zu einem solchen werden wird, und andererseits präsentiert ihr eine düstere Grundstimmung wie nie zuvor.    

Vielleicht könnt ihr mir noch einen großen Wunsch erfüllen und in den nächsten Monaten zu mehr als einem (ausverkauften) Konzert (in Berlin) nach Deutschland kommen, damit wir noch einmal gemeinsam einen solch schönen Abend wie 2008 in der Royal Albert Hall in London erleben werden.

Mit dankbaren Grüßen

Dirk.



Die Sängerin tastet sich aus dem Scheinwerferlicht heraus, das Gesicht im Halbdunkel, die Schultern hochgezogen, die Fäuste geballt. Die zehn düsteren Geschichten, die sie hier zu erzählen hat, handeln von Gefühlen im Breitwand-Format, von verhängnisvollen Affären, von Sehnsüchten und Fantastereien, von Liebe, Hass und Mord. Wie eine multiple Persönlichkeit schlüpft Goldfrapp von einer Haut in die nächste, ist mal Mann und mal Frau, mal leidendes Opfer und mal gnadenloser Täter. Ihr Horror entsteht nicht durch herumfliegendes Gedärm, sondern spooky im Kopf kino. „I feel the cold arrives in my bones“ („Drew“), singt sie.

In diesen zäh fließenden, repetitiven Melodien, in denen luxuriös orchestrierte Klänge auf- und wieder verblühen, werden die gewisperten, geraunten und geflüsterten Storys um „Jo“ und „Annabel“ , „Ulla“ und „Laurel“ oder um den Unglücklichen und seinen toten Freund „Clay“ zu hypnotischen Mini-Movies. „Want you down, want you dead“, geifert der untreue Ehemann in „Thea“,  der Puls trommelt, verzweifelt girrt eine hohe Stimme, und am Ende stapfen schwere Schritte über die Leinwand. Popcorn? Nein, danke.
(Rolling Stone)


Tales Of Us forciert eine Ambivalenz zwischen Kuschelpop und Gefährdungslyrik und knüpft damit an das Debütalbum Felt Mountain von 2001 an. Hier gibt es keine Rockismen, auch keine ironischen.

Wir hören also wieder Mandolinen, Holzgitarren, Streicher natürlich. Manchmal sind es nur Vignetten, Witze fast, die den Rückgriff auf Goldfrapps Anfänge herstellen. Im neuen Song »Stranger« kehrt ein Pfeifen zurück, das jenem in »Lovely Head« des Erstlings ähnelt. Und schon das war ein Pfeifen, das Ennio Morricones Soundtracks umwarb, während Portishead, eine weitere Britband mit hoher Frauenstimme, einige Jahre zuvor die Scores von Lalo Schifrin sampelten. (...)

Die Band treibt das ambivalente Spiel so weit wie noch nie. Goldfrapps Partnerin, die Filmemacherin Lisa Gunning, hat gleich zu fünf Songs Videos gedreht, die im Herbst in den Kinos zu sehen sein sollen. Die Videos zu »Jo« und »Drew« zeigen beide Alison Goldfrapp als Hauptfigur, einmal im überdesignten Eigenheim, einmal in verzuckerter, aristokratischer Ruine, immer hart an der Grenze zwischen extrem gespannten Oberflächen und drohen- dem Kunstgewerbe. Hinzu kommt, dass Goldfrapp, obwohl sie auf Tales Of Us viel haucht, eine starke, geschulte Stimme hat. Es droht der Tod durch die Hintertür der Perfektion.

Was sticht, sind die Songs. Die Arrangements lassen viel Luft: Platz für die Ängste und lustbetonten Abgründe dieser Figuren, in die Alison Goldfrapp schlüpft. Jeder Titel der Vorname einer anderen Frau – bis auf einen Song, »Stranger«. Doch auch der bleibt Krisenprosa, der Fremde ist wohl die Sängerin selbst. Lieblicher und stärker zugleich hat Subjektverlust schon lange nicht mehr geklungen.
(SPEX)


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