Die erste Vorladung (VI)
Personalien:
Ochre Room ist ein finnisches Sextett, das aus Lauri Myllymäki, Tomi Moisio, Antti Leikkanen, Ari Savolainen, Tanja Peltonummi und Minttu Tervaharju besteht.
2010 gründeten Tomi Moisio (Bass) und Lauri Myllymäki (Gesang, Gitarre, Mandoline, Mundharmonika) in Tampere die Band Ochre Room, zu der sich bald Antti Leikkanen (Schlagzeug) und Ari Savolainen (Gitarre) gesellen sollen. Nach einer ersten EP ("Blue Ribbon") stießen mit Tanja Peltonummi (Trompete, Glockenspiel, Gesang) und Minttu Tervaharju (Gesang, Orgel) zwei junge Damen zu den vier Jungs dazu und reicherten das Klangspektrum der Band entscheidend an.
Nach zahlreichen Tourneen in Finnland wurde im Januar 2012 beim Label Lumpeela Julkaisut der erste Plattenvertrag unterschrieben, so dass im März im Headline Studio in Tampere unter Mithilfe des Produzenten Juha Mäki-Patola die Aufnahmen für das Debütalbum "Evening Coming In" beginnen konnten. Für das Cover zeichnet (oder eher "aquarellt") sich Liina Mäki-Patola, vermutlich die Ehefrau des Produzenten, verantwortlich.
Plädoyer:
Ihre Begeisterung für Singer/Songwriter der 70er Jahre (Neil Young, Bob Dylan, The Band, Kris Kristofferson), Americana und Folkrock neueren Datums (Ryan Adams, Jayhawks, Band Of Horses) führte die sechs Musiker zusammen - und das ist dem melancholisch gefärbten "Evening Coming In" auch deutlich anzuhören. Cello, Trompete, Glockenspiel und stimmungsvoller Boy/Girl-Gesang, wie etwas in der sehr schönen Single "My Summer", oder die Nähe zu The Miserable Rich ("Radiance", "Same Posture") retten oftmals, wenn sich zu viel amerikanischer Einschlag, Pedal Steel Gitarre und Mundharmonika breit machen ("Blue Ribbon", "A Little Cloud").
Zeugen:
Die souverän-zarte Trompete von Tanja Peltunummi fügt einen Tupfer Texicana-Atmosphäre hinzu. Ums Geschichtenerzählen im Singer-Songwriter-Modus geht es den Musikern vorrangig. Voller feiner Zwischentöne. Sorgsam bemüht, bloß nirgendwo zu dick aufzutragen oder durchschimmern zu lassen, dass die Instrumente mit Meisterschaft bedient werden. Aber mit betulicher Naivität hat das alles nichts zu tun. Im heimlichen Höhepunkt »Shooting Ghosts« nehmen die Provinzmusiker gehörig Fahrt auf und bewegen sich zwischenzeitlich durchaus auf Augenhöhe mit den isländischen Folkpop-Durchstartern Of Monsters And Men. Auf den Tanzboden, Cowboys und Cowgirls!
Die nuancierte Stimme von Sänger Lauri Myllämäki mag uns vordergründig in Schönklang einlullen, aber halt! Nichts liegt den Nordlichtern ferner, als die Mär von einer heilen Welt zu erzählen. Im Song »A Little Cloud« etwa geht es um Mord aus Leidenschaft. Eine zurückgenommene Slide-Gitarre begleitet die Schauermär, die auf Samtpfoten daherkommt. Der zweistimmige Harmoniegesang mit Sängerin Minttu Tervaharju gleitet über Untiefen. Die Finnen bedienen sich in meist getragenem Tempo der Genrestandards des US-Folkpops, zugegeben. Aber sie schaffen es durch angenehme Bescheidenheit und selbstbewusste Verlangsamung, ihren Claim in einem Präriewinkel abzustecken, der so ganz ihr eigener ist. Lassen wir uns, sanft auf dem treuen Gaul in den Sonnenuntergang reitend, von diesen sanften Tönen tragen bis zum Horizont. Und weiter!
(Nordische Musik)
Mit „My Summer“ startet dieses melancholie-seelige Album. Zarte gezupfte, elegische Gitarre und trauriger männlicher Gesang lässt uns sofort in diesen Klängen schwelgen. Ein Cello erhebt sich, dazu eine Trompete und eine weibliche Stimme füllen plötzlich den Raum. Doch nicht nur das – auch der Text verblüfft. Hier geht’s nicht etwa um die Schönheiten des Sommers, sondern darum, dass diese Jahreszeit überbewertet wird, denn „Death is all around“. Der wirkliche „Sommer der Seele“ entfaltet sich in diesem Song als Bekenntnis zum Herbst, der seine wundervollen Bilder in der Natur malt und uns nun erst zeigt „Life is all around“! Ein vermeintlicher Sommer-Hit der zur warmherzigen Herbst-Ode wird! Und Musik, die dazu Bilder malt! Wunderschön – wozu OCHRE ROOM hier fähig sind!?!?
Doch auf „Evening Coming In“ ist „My Summer“ keine Ausnahme – sondern der Prolog für all die weiteren schönen Melodien, die begleitet von Celli, Trompeten, Harmonika, Hammond-Orgeln, Pedal Steel, Glockenspielen, lyrischer Poesie und und und ihre ganze „Abenddämmerung“-Schönheit entfalten.
Aber es gibt auch musikalische Ausbrüche, wie „Shooting Ghosts“, wenn die Musik lauter, die Texte radikaler werden. Es geht um Ängste, die man bekämpft und die überall lauern: „And as I walk out of the door / Can I believe my eyes / Some zombi-nazi's pissing / On my home door.“ Wer kennt das Gefühl nicht, wenn jämmerliche, kleingeistige Dumpfbacken einem den Glauben ans Gute nehmen und „watering my hatreds in fears“! Bei OCHRE ROOM wird man nicht nur unterhalten, es erklingen auch Botschaften, die nachdenklich machen sollen. Die dir zeigen, dass der Schönheit unserer Natur leider viel zu oft die Kaltblütigkeit des Menschen entgegensteht.
„Shooting Ghosts“ bleibt in dieser Beziehung nicht die Ausnahme. Hinter dem wundervollen Titel „Little Cloud“ versteckt sich eine traurige Geschichte, die zugleich wütend macht. Ein toter Vogel liegt früh im Schlamm – erschossen von einem Jungen, der stolz mit seiner Waffe aus makaberer Lust die singenden Vögel vom Himmel holt. So erwächst der Wunsch, diesem bewaffneten Jüngling dem gleichen Schicksal wie den gefiederten Freunden auszusetzen. Dazu Musik, die einen zu Tränen rührt. Genauso sieht sie aus – die finnische Melancholie mit einem Schuss Indi-Folk und Americana, die wie's scheint wirklich in Finnland ihre Wiege hat!
(Musikreviews)
Indizien und Beweismittel:
Urteile:
Nun sind die werten Richter gefragt...
7,5 Punkte Erinnert stellenweise an die Turin Brakes.
AntwortenLöschenZu viel Country für meinen Geschmack.
AntwortenLöschen5,5 Punkte