Richard Ashcroft - Lovin’ You


Wenn die Gallaghers es vormachen, dann kann Richard Ashcroft ihrem Vorbild bedenkenlos folgen: Während sich Oasis bei ihren Reunion-Konzerten auf Lieder konzentrieren, die zwischen 1994 und 1997 veröffentlicht wurden (22 von 23 gespielten Songs), setzt Richard Ashcroft hauptsächlich auf das Werk, das er mit The Verve schuf. Im Extremfall spielte er im Vorprogramm von Oasis einen Solosong, eingebettet in sechs Lieder von The Verve. 

Dabei ist Ashcroft im Vereinigten Königreich auch allein weiterhin höchst erfolgreich: Alle seine Soloalben erreichten die Top 4 der Charts, auch wenn sein letztes reguläres Studioalbum, „Natural Rebel“, etwas zurück liegt (sieben Jahre) und tatsächlich das erste seiner Alben war, das nicht auf dem „Chart-Treppchen“ landen konnte. Gut, dass er sich seitdem durch die Auftritte mit Oasis und das 2021 veröffentlichte Best of-Set „Acoustic Hymns Vol 1“ wieder ins Gedächtnis der Engländer rufen konnte. Man denke nur an die junge Frau, die beim Reunion-Konzert von Oasis den The Verve-Song „Bitter Sweet Symphony“ shazamte und nun bestens darüber informiert ist, wer vor ihr auf der Bühne stand.

Und so wird auch „Lovin’ You“ den Weg in die Spitze der UK-Charts finden. Überraschenderweise beruhen die beiden Singles aus dem Album auf Samples und zeigen Ashcroft in einem deutlich poppigeren Soundgewand als gewöhnlich. Möglicherweise mitverantwortlich ist Co-Produzent Emre Ramazanoglu (Carly Rae Jepsen, Lily Ellen, Kylie Minogue, All Saints, aber auch Noel Gallagher oder Spiritualized), der auch „Lovin’ You“ einen moderneren Anstrich verpasste. Dieser Song beruht auf einem Sample aus Mason Williams’ „Classical Gas“, bei „Lover“ lag Joan Armatradings „Love And Affection“ zugrunde. Beide werden auch jeweils schön brav als Mit-Komponisten angegeben - Ashcroft will schließlich den „Bitter Sweet Symphony“-Fehler nicht wiederholen. 
In die gleiche Kategorie gehört das tanzbare „I’m A Rebel“, das zusammen mit dem französischen Elektro- und Disco-Musiker Mirwais, der vermutlich am bekanntesten für seinen kreativen Input auf Madonnas Alben „Music“, „American Life“ und „Confessions On A Dance Floor“ ist, entstand und Ashcrofts Kopfstimme hervorlockt.
Der Rest des Albums entstand zusammen mit dem Produzenten Chris Potter, der schon seit „Urban Hymns“-Zeiten an Ashcrofts Seite steht, so dass die gewohnten akustischen Streicher-Balladen überwiegen („Find Another Reason“, „Crimson Fire“), die nur durch einen Rocker („Heavy News“) unterbrochen werden.

„Lovin’ You“ bietet keinen einzigen Grund, warum Richard Ashcroft bei weiteren Auftritten im Vorprogramm von Oasis von seiner bisherigen Songauswahl abweichen sollte. Das Album hat 10 Lieder in knapp 44 Minuten im Angebot und ist als CD und LP (black Vinyl, orange Vinyl, blue Vinyl, neon orange Vinyl) erhältlich.


 


Nun ist es nicht so, dass der frühere The-Verve-Frontmann in den letzten Jahren zum Shakespeare gereift wäre. Wohl aber hat er sich wieder in einen Pop hineingefuchst, der Erwartungen negiert, Haken schlägt und nicht immer den einfachsten Weg sucht.
Das wird vor allem in der ersten Albumhälfte deutlich: So ist das eröffnende „Lover“ mit seinem Winken Richtung World Pop verwandt mit dem, was Anfang der 1990er-Jahre in Manchester passierte. Die Lust an der Abwechslung findet in den dezenten Americana-Querverweisen von „Out Of These Blues“ und im muskulösen Rock von „Heavy News“ eine gelungene Fortsetzung, bevor „I’m A Rebel“ von Produzenten-Silverager Mirwais Richtung Seventies-Disco und French House geschoben wird – und einen Ashcroft zeigt, der sich der Kopfstimme bedient.
Auch der Titeltrack sucht mit markanten Big Beats den Tanzboden. An anderer Stelle fehlt diese Prägnanz. Dann versinken die Songs wieder in jener Belanglosigkeit, die immer einer der Bestandteile von Ashcrofts Solo-Katalog war. 




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