
Beim Kennenlernen von Tessa Murray und Greg Hughes spielten wohl der Zufall und die britische Bahn entscheidende Rollen. Mittlerweile fährt das Duo nicht mehr mit dem Zug durchs regnerische London, sondern im Cabriolet durch sonnige, amerikanische Wüste. Zumindest gehören die Soundlandschaften, die Hughes, der tatsächlich in Arizona und Texas aufwuchs, für das aktuelle Album schuf, hier, äh, gehört. Da das Reisen aktuell Pandemie bedingt nicht möglich ist, muss es ausreichen, dass einen „
The Last Exit“ beim Hören irgendwie in den Wilden Westen versetzt.
Wobei „wild“ natürlich auf keinen dieser träumerischen Desert Noir-Songs zutrifft. So würde man auch niemals die Musik von Mazzy Star, Lana Del Rey oder Beach House beschreiben wollen, oder? Der warme, einlullende Gesang von Tessa Murray sorgt dafür, dass nicht Chris Isaak, Ry Cooder oder Dire Straits als Referenzen herhalten müssen.
Es sind genau jene vermeintlichen Gegensätze, die Still Corners so faszinierend machen. Ihre Songs schweben auf der Stelle und treiben stetig vorwärts, als hätten sie sich Valium und Aufputschmittel gleichzeitig eingeschmissen. Verästelte Arrangements und strukturelle Brüche versuchen, die im Kern simplen Pop-Melodien zu entwurzeln, ohne dass es je erzwungen wirkt. Von einer grobkörnigen Akustischen befeuert, galoppiert der eröffnende Titeltrack durch die Prärie, bis ihn Slide-Gitarren und funkelnde Piano-Akzente in den Himmel hieven.
Das Album startet mit dem überwältigenden Titeltrack, der sich mit Nachdruck für die Liste der Songs des Jahres empfiehlt. Tessa Murray haucht ihren Text tausend Tränen tief, der Drumbeat erinnert verhalten an Fleetwood Mac und an Bob Dylan in der „Oh Mercy“-Phase und im letzten Song-Drittel buhlen eine sehnsüchtige Gitarre und ein aufgewecktes Pianospiel um die Aufmerksamkeit. Pure Eleganz. Im flotten Uptempo-Beat samt New-Wave-Anleihen und verloren schwebenden Vocals umgarnt uns „White Sands“, während „A Kiss Bevor Dying“ die hypnotische Sogwirkung in Mazzy-Star-Manier fortführt. Auch das vergleichsweise dramatisch wirkende „Mystery Road“ und der zarte Closer „Old Arcade“ gehören zu den Album-Highlights. In der Musik von Still Corners schwingt noch in den dunkelsten Momenten die Aura des Anmutigen. Welch ein wunderschönes Album.
Mit dem elften Album (fünf selbst veröffentliche CD-Rs inkludiert) erstmals bei Platten vor Gericht? Den
Sleaford Mods gelingt dieses Kunststück, obwohl sie seit 2007 kontinuierlich Platten veröffentlichen und seit „Key Market“ (2015) auch den Weg in die Charts in Großbritannien (#11) und Deutschland (#74) fanden. „English Tapas“ (2017) wiederholte den Erfolg und „Eton Alive“ erreichte letztes Jahr sogar die Top Ten (#9) ihrer Heimat.
Mit „Spare Ribs“ könnten Jason Williamson und Andrew Fearn nun eine persönliche Bestmarke aufstellen, der veröffentlichungsarme Januar wird dieses Vorhaben sicherlich unterstützen. Rough Trade spendiert der Schallplatte (grünes Vinyl) ein Die Cut-Cover und die Sleaford Mods sich selbst einige Gaststimmen, etwa Amy Taylor (Amyl & The Sniffers) und Billy Nomates. Der von Andrew Fearn konstruierte Elektro-Post-Punk wird im Vergleich zu früheren Werken sanfter und im Tempo häufig gedrosselt, was der Eingängigkeit gut tut und der Eindringlichkeit von Jason Williamsons Spoken Word-Tiraden über soziale und politische Missstände im Vereinigten Königreich zu Corona-Zeiten nicht schadet.
Sprechsänger Williamson und sein beatbastelnder Kollege Andrew Fearn bohren mit ihrer klappernden, meckernden Stakkato-Musik seit über zehn Jahren in der klaffenden Wunde des britischen Elends. Beide kommen aus der Arbeiterklasse von Nottingham und Umgebung, oft versteht man als Nicht-Engländer nur mühsam, was Williamson im heftigem Midlands-Dialekt ins Mikro schimpft, es sind keine offen politischen Slogans, sondern hochgradig britisch kodierte Zustandsbeschreibungen und Assoziationsketten, eine Art Straßenpoesie-Tourette. (…)
Das ist kein neues Thema im britischen Post-Punk. Aber angesichts der prekären politischen Lage ist es vielleicht kein Wunder, dass die in den Achtzigern, in den neoliberal-harten Thatcher-Jahren geprägten Isolations-Sounds – von Joy Division und Wire bis zu PiL, Dub und Techno – in der Klassenkampf-Prosaik der Sleaford Mods ihr bisher wirksamstes Update erfahren. Dreh' dich im Kreis – und tanz den Boris Johnson.
An den elektronischen Details hat Fearn effektvoll geschraubt, das in „Elocution“ könnte eine Melodica sein, der Track „Out There“ kriegt sogar Swing. Und die 43-sekündige Eröffnung „The New Brick“ holpert über ein Analogsynthie-Motiv, aber Williamson pöbelt sich trotzdem in Laune: „And we’re all so Tory tired / And beaten by minds so small“. SPARE RIBS ist der kommentierte Soundtrack zum Hirnriss der Herrschenden, und damit wäre dann doch wieder alles beim Alten.
3 Jahre und 3 Tage liegen zwischen der Veröffentlichung von „Songs Of Praise“ und „
Drunk Tank Pink“. 3 Jahre und 3 Tage, in denen Fontaines D.C. und Idles jeweils gleich zwei Top 5-Alben gelangen, womit sie
Shame, welche die Post-Punk-Renaissance in Großbritannien ins Rollen brachten, etwas den Rang abgelaufen oder die Show gestohlen haben.
Das Debütalbum von Eddie Green, Charlie Forbes, Josh Finerty, Sean Coyle-Smith und Charlie Steen brachte hervorragende Kritiken ein, kam jedoch im Vereinigten Königreich auf einen bescheidenen 32. Rang. Erstes wiederholt sich, während sich letzteres nun mit dem von James Ford (Arctic Monkeys, Foals, Depeche Mode, The Last Shadow Puppets) produzierten Nachfolger ändern darf (und wird). Shouter Charlie Steen brüllt sich nach wie vor heiser und Songs wie „Alphabet“ oder „Great Dog“ schließen stilistisch an den rüden und rauen Ton des Debüts an. Doch der brachiale Post-Punk weist mit dem ruhigeren „Human, For A Minute“ oder dem abschließenden, über 6-minütigen „Station Wagon“ auch die ein oder andere Überraschung auf.
In Deutschland ist „Drunk Tank Pink“ als opaque pink Vinyl oder smoke marble Vinyl erhältlich.
Auch ein Konzert ist angekündigt:
22. Oktober 2021 Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
Es wird roher. Rotziger. Direkter. Ein Album wie eine Panikattacke, wie der Schreikrampf, der endlich all die aufgestauten Gefühle seit März 2020 rauslässt.
Die Vorabsingle „Water In The Well“ funktioniert mit ihrer überdrehten Spielfreude wie ein Scharnier zwischen dem ersten Album und dem Nachfolger, aber richtig tief in die Dunkelheit geht es auf der Anti-Spaziergangs-Hymne „Great Dog“, oder in „Snow Day“, das zwischen der Wut von Idles oder Fontaines D.C., dem aggressiven Minimalismus von Crack Clouds und der Verzweiflung von Ian Curtis steckt. Shame sind die Band, mit der niemand mehr gerechnet hat – aber die wir dringend gebraucht haben.
2013 hatte
Passenger mit „Let Her Go“ eine Nummer 1-Single in Deutschland, in deren Folge auch das eigentlich im Vorjahr veröffentlichte Album „All The Little Lights“ bis auf rang 6 der Charts kam. Anschließend war Michael David Rosenberg äußerst produktiv und veröffentlichte jedes Jahr ein neues Album und das durchaus erfolgreich: „Young As The Morning Old As The Sea“ kam 2016 in seiner britischen Heimat auf Platz 1 und in Deutschland kletterten zwei weitere seine Platten bis auf Rang 6. Die Veröffentlichungen der letzten beiden Jahre waren eben so ungewöhnlich wie lobenswert, denn alle Einnahmen von „Sometimes It's Something, Sometimes It's Nothing at All“ und „Patchwork“ kamen wohltätigen Zwecken zu.
Auch „Songs For The Drunk And Broken Hearted“ will nicht nur eine Platte sein, sondern Gutes tun. Und so wird für jedes über die Homepage von Passenger verkauftes Exemplar, das zu 100% aus recyceltem Material besteht, ein Baum gepflanzt. Musikalisch sind die 10 Songs business as usual, also getragener, melancholischer Folkpop. Neben der regulären Version, die durch ein fröhlich klimperndes Piano („Tip Of My Tongue“), Streicher („The Way That I Love You“, „London In The Spring“), Bläser („Sandstorm“, „Songs For The Broken Hearted“) und/oder eine George Harrisson-Gedächtnis-Gitarre („Remember To Forget“) dezent aufgemotzt werden, gibt es erneut alle Lieder in der Deluxe Version in akustischen Fassungen. Ob Rosenberg bei den Aufnahmen von „Songs For The Drunk And Broken Hearted“ betrunken war, kann ich nicht sagen, aber ein gebrochenes Herz hatte der frisch Getrennte wohl: I think it’s a very strange world we live in, and everything I experienced usually percolates around the brain box for a little bit and then gets channeled into the songwriting, so a breakup is no different. It’s a very extreme version of that.
Ob die Wertungen der Plattenrichter Rosenberg auch wieder wie zuletzt ein gebrochenes Herz bescheren werden? So sah es bei den letzten Alben von Passenger aus:
The opening track, Sword From The Stone, hits instantly like a punch to the gut, being about the inability to move on from a recent relationship. He asks about his ex’s family, and says he can’t ‘pull the sword from the stone’. It’s beautiful and direct, perfectly capturing the feeling of someone being torn away from you like a limb, a vital part of your life.
The Way That I Love You is an intimate tune about wishing somebody could love themselves as much as they’re loved by others. At its core, there are resemblances to the likes of Crosby, Stills & Nash laced within its tender acoustic guitar riffs and lullaby-like vocal melodies, making this feel like a long-time classic.
The track Sandstorm is a quietly swelling epic at 5 minutes long, which sees Passenger waxing poetic on the idea of being the sandstorm and a lover being the sand, feeling as though you’re the chaos in someone’s life and being hard to understand. The drums, horns and strings weave their way into the mix seamlessly, creating a cinematic listening experience that makes you want to go back and play on repeat.
Songs like Remember To Forget and Nothing Aches Like a Broken Heart work so well in that they’d fit perfectly into a Nashville dive bar and just as equally a trendy South London pub, with sliding and shimmery guitars, and hearty Billy-Joel-like piano chords bouncing around the latter track.

10. Ride - Going Blank Again (2LPs) (29.1.2021)
9. Die drei ??? - Die drei ??? (Folge 208) - Kelch des Schicksals (2 LPs, 180g, Limited Edition) (15.1.2021)
8. Interpol - Antics (LP, Limited Edition, White Vinyl) (11.12.2020)
7. Heavenly - A Bout De Heavenly: The Singles (LP) (11.12.2020)
6. Frightened Rabbit - The Winter Of Mixed Drinks (2 LPs, Limited 10th Anniversary Edition, Ice Blue Vinyl) (18.12.2020)
5. Sigur Rós - Odin's Raven Magic (2 LPs, 180g) (4.12.2020)
4. Slowdive - Outside Your Room EP (12", 180g, Limited Numbered Edition, Red & Gold Swirled Vinyl) (11.12.2020)
3. Slowdive - 5 EP (12", 180g, Limited Numbered Edition, Pink & Purple Marbled Vinyl) (15.1.2021)
2. Nothing - The Great Dismal (LP) (29.1.2021)
1. The Notwist - Vertigo Days (2 LPs, Limited Edition, Olive Green Vinyl) (29.1.2021)

2021
Januar
08.01.
Passenger - Songs For The Drunk And Broken Hearted
Grant-Lee Philips - Lightning, Show Us Your Stuff
15.01.
Shame - Drunk Tank Pink
Sleaford Mods - Spare Ribs
22.01.
Herman Düne - Notes From Vinegar Hill
Still Corners - The Last Exit
29.01.
Martin L. Gore - The Third Chimpanzee EP
The Notwist - Vertigo Days
Chris Garneau - The Kind
Februar
05.02.
Deacon Blue - Riding On The Tide Of Love
Foo Fighters - Medicine At Midnight
Smith & Burrows - Only Smith & Burrows Is Good Enough
The Telescopes - Songs Of Love And Revolution
12.02.
Clap Your Hands Say Yeah - New Fragility
19.02.
Julia Stone - Sixty Summers
Mogwai - As The Love Continues
Tash Sultana - Terra Firma
Masha Qrella - Woanders
26.02.
Coud Nothings - The Shadow I Remember
Maximo Park - Nature Always Wins
Fotos - Auf zur Illumination!
Julien Baker - Little Oblivions
Roosevelt - Polydans
Balthazar - Sand