Ja, die Tendenz bei Platten vor Gericht war abfallend, wie man hier sehen kann:
„The Miraculous“ (2015): Platz 14 mit 7,875 Punkten
„Dead Magic“ (2018): Platz 34 mit 7,500 Punkten
Aber doch immer noch auf einem sehr hohen Niveau! Es gab also keinen Grund, „All Thoughts Fly“, das 2020 veröffentlichte Album von Anna von Hausswolff nicht vor Gericht zu stellen.
Dieser Fehler soll uns beim insgesamt sechsten Album der Schwedin nicht erneut passieren. „Iconoclasts“ ist ihre erste Veröffentlichung über das schwedische Indie-Label Year0001 und eine weitere Zusammenarbeit mit Filip Leyman, der hier als Co-Produzent, Tontechniker, Co-Komponist und Musiker (Synthesizer, Schlagzeug, Gitarre) fungiert. Ebenfalls wieder dabei: Maria von Hausswolff, Annas ältere Schwester, die diesmal auf „Unconditional Love“ mitsingt. Erwähnen wir noch, bevor wir zu weiteren bekannten Stimmen kommen, ihre Mutter, Evalena von Hausswolff, die Fotos beisteuerte. Die an fünf Songs beteiligten Streicher sorgen für eine lange Liste an Musiker*innen, die von Iggy Pop („The Whole Woman“) und Ethel Cain („Aging Young Woman“) gekrönt wird, welche den Weg in Berliner und Göteborger Tonstudios fanden.
Anna von Hausswolff selbst singt auf 9 der 12 Titel, die insgesamt 72:49 Minuten laufen, und hat sich in mindestens drei schwedischen Kirchen an die Orgel gesetzt. „Iconoclasts“ verbindet orchestralen Artpop, schrillen Jazz-Rock, düsteren Drone und experimentellen Postrock und klingt in seinen besten Momenten so, als wäre Kate Bush in einem Alptraum gefangen, im Falle vom Titelsong dauert dieser über 11 Minuten.
Bei Metacritic steht „Iconoclasts“ aktiuell bei sensationellen 93/100 Punkten und damit auf Platz 2 der Jahresbestenliste.
Anna von Hausswolff in Deutschland:
21.01.26 Hamburg, Knust
22.01.26 Berlin, Columbia Theater
04.02.26 Köln, Gebäude 9
06.02.26 München, Ampere
Der zurückhaltende Gestus von "Iconoclasts" führt dazu, dass die Ausbrüche noch stärker wirken. Allen voran schiebt sich hier der Song-des-Jahres-Kandidat "Struggle with the beast" in den Vordergrund: Das Bläsermotiv des Intros dient als Grundgerüst für ein wahnsinnig mitreißendes Jazz-Rock-Ungetüm, das die Wände schon zum Einsturz gebracht hat, bevor überhaupt der Gesang einsetzt. Laut wird's auch im noisigen Schlussdrittel von "The mouth" und im elfminütigen Quasi-Titelstück "The iconoclast". Tribal-Drums und zerrende Gitarren führen Swans-artige Ritualtänze auf und ziehen sich in eine Leere zurück, die von Hausswolff im Alleingang füllt. Dann plötzlich: totale Stille, das Wiederaufbäumen mit ergreifender Dramatik und das langsame Verglühen im choralen Sternenmeer. Anna von Hausswolff muss keine Kirchen anzünden, um Konventionen zu sprengen und der Kunst als einzigen Gott zu huldigen.
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