10 gerecht gute Kritiken ungeordnet aufgereiht:  1. Auf den 12 neuen Stücken kommt ganz viel zusammen, was Kettcar über die Jahre als Band a...

Kettcar - Gute Laune ungerecht verteilt


10 gerecht gute Kritiken ungeordnet aufgereiht: 

1. Auf den 12 neuen Stücken kommt ganz viel zusammen, was Kettcar über die Jahre als Band ausgezeichnet hat. Es gibt kaum einen Song auf dem Album, der nicht a la Balu oder Balkon gegenüber dieses gemeinsam-am-Deich-sitzend-Mitsing-Gefühl erzeugt. Hervorzuheben sind da die düstere Bestandsaufnahme Auch für mich 6. Stunde, Rügen, ein Song über das Elternsein oder Einkaufen in Zeiten des Krieges. (…) Gute Laune ungerecht verteilt ist Kettcar at it’s best. Wer weiß, was das bedeutet, kann sich nur freuen, dass dieses Album Begleitung für herausfordernde Zeit ist.

2. Es sind oft nur Satzfetzen und kleine Szenen, Andeutungen und Assoziationen, aus denen Reimer Bustorff und Marcus Wiebusch kleine Bollwerke gegen die Verzweiflung zusammen schrauben. Gerade weil sie nicht vorgaukeln, etwas besser zu wissen. Und weil ihr Indie-Rock so kraftvoll ist, aber nie Dringlichkeit mit billigem Pathos verwechselt.

3. Für manche ist “Gute Laune, ungerecht verteilt” vielleicht ein bisschen zu viel Information, zu viel starke Meinung und zu viele gute Gedanken, auch über die unangenehmen Themen. KETTCAR perlen nicht an denen ab, die sich damit befassen wollen. Die Waage zwischen emotionaler Konfrontation und der Ration Kitt für den Seelenschmerz scheint am Ende ausgeglichen. Fühlt sich an wie nach Hause kommen, auch wenn es da einiges im Argen liegt.


 


4. Überhaupt findet man viele Zitate und Anspielungen an andere Acts, in "Doug & Florence", einer scheppernden, schwelgerischen Hymne an Pflegerinnen und Paketboten, heißt es im Sinne der Smiths "All ihr Pflegerinnen / Paketboten of the world unite / Unite and take over". Wo in den Achtziger Jahren noch die Ladendiebe umarmt wurden und zur Machtübernahme angespornt, sind es heute diese Dienstleister, die in einer sehnsuchtsvollen Klassen-Utopie Florence Nightingale mit Doug Heffernan von "King Of Queens" verbindet.
Weitere Assoziationen in den Tracks finden sich zu Acts wie The National, Sufjan Stevens, War On Drugs bis hin zu den Beatles. 

5. Alles Geschichten, so bildhaft geschrieben, dass sie einem Kurzfilm gleichen. Highlights auf Gute Laune ungerecht verteilt sind neben dem wirklich starken München vor allem auch Auch für mich 6. Stunde, Blaue Lagune oder auch Kanye in Bayreuth und der darin gestellten Gewissensfrage, über das Trennen von Kunst und Künstler. Es gibt viel, was Hörer*innen aus diesem Album mitnehmen können, und das sind bei weitem nicht nur Ohrwürmer.


 


6. Mit „Gute Laune, ungerecht verteilt“ erklimmen Kettcar nun eine neue Stufe. War das Vorgängeralbum noch vor allem eine mit moralischen Standpunkten untermauerte These, ist das neue Werk eine dialektische Meisterleistung. (…)
Kettcar geben auf manchmal pathetische, aber nie kitschige Weise den Stimmlosen eine Stimme. Der immer wieder aufflammenden Vereinzelung setzen sie die Hoffnung auf Zusammenhalt entgegen. Die Synthese dessen – ein Meisterstück.

7. Das Album "Gute Laune ungerecht verteilt" muss bewusst gehört werden und ist keine Musik für nebenbei. Beim Zuhören entdeckt man die vielschichtige Balance der Themen - politisch, persönlich, gesellschaftlich, empathisch. (…) Ein Album-Highlight ist die Alltagsbeobachtung "Einkaufen in Zeiten des Krieges", mit der herrlichen Textzeile: "Und nicht alle in Hamburg wollen zu König der Löwen“.
Musikalisch wie textlich ist die Band auf einem Höhepunkt angekommen. "Gute Laune ungerecht verteilt" klingt frisch und gelungen. Die Hörer*innen bekommen einen Spagat zwischen lauter, erdrückender Ernsthaftigkeit, und auch sehr leisen und zarten Balladen wie "Zurück". Und diese Lichtmomente sind, wie die schweren Themen, wichtig für das große Ganze.
(NDR)


 


8. »Mein Herz ist ein totgeschlagenes Robbenbaby« ist die vielleicht eindringlichste Zeile aus einem Song, der einem mit jedem Textvers ins Gewissen prügelt. Es ein absichtlich sperriger, an das Ende des Refrains gesetzter Satz, der den Zuhörer zu unmittelbarer Anteilnahme zwingt: Robbenbabys mit großen anklagenden Augen, die auf kalten Eisschollen blutig abgeschlachtet werden – das ist ein Bild, das jeder kennt, das jedem unter die Haut geht. In »München«, der ersten neuen Single von Kettcar seit 2019, wird die Zeile von einem Deutschen mit Migrationsgeschichte gesagt, weil er sich angesichts der stetig wachsenden rechten Gewalt und Kälte im Land so fühlt wie die Robbe: hilflos, allein, schutzlos, ausgeliefert. (...) voll mit wütenden Gitarren, die wie Alarmsirenen heulen, ist ein seltenes politisches Statement im deutschen Pop. Ein Rocksong, dessen Inhalt und Geschichte schon seit Jahren Gültigkeit haben. Aber nun, in den Tagen überfälliger Proteste gegen den aufgedeckten  zynischen Abschiebeplan der Rechten, zu einem Fanal wird. Es ist ein radikaler Song, der aufwühlt und agitiert.

9. "Kanye in Bayreuth" ist der wohl experimentellste Track der Platte. Das Stück pumpt und schnaubt im seidigen Hip-Hop-Gewand, Wiebusch sprechsingt und spiegelt den Jüngern des korrekten Musikgeschmacks die aktuelle Position ihrer moralischen Kompassnadel. Selbst, wenn sich diese Frage vorwiegend Musiknerds stellen, trifft sie den Zeitgeist: Wo sich positionieren zwischen Gut und Böse, Alt und Neu? Und wen noch supporten inmitten all der Shitstorms und Meinungspole? Rammstein, Morrissey, Kanye und Co. grüßen mit gequältem Grinsen. Vielleicht sind verschmitzt-verzerrte Mundwinkel ja das passende Bild für ein Leben in dieser aufgewühlten, rastlosen und gleichzeitig nach Halt suchenden Gesellschaft. Die sich in einem jedoch sicher sein darf: Kettcar sind da, sie sind mitten unter uns. Ein Glück.


 


10. Am Schluss kommen das Private und Politische auf „Gute Laune, ungerecht verteilt“ nochmal grandios zusammen: Im sprechend betitelten „Brief meines 20-jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter)“ entwirft der 55-jährige Wiebusch als Gedankenexperiment eine Anklage seines jüngeren Selbst. Es ist ein mitreißender Text, ungnädig und von enttäuschtem Kopfschütteln durchdrungen, von der Band zurückhaltend, aber zackig unterfüttert. Im Finale gibt es den einzigen, aber entscheidenden Moment, in dem ein Hauch Versöhnlichkeit aufblitzt: „In deinem gespielten Optimismus, den verschollenen Idealen / In jedem grauen Haar, in deinem Eigenheimsparplan / Dem Kitsch in deinen Texten, deinen Falten im Gesicht / Seh ich, du hast immer noch die gleiche Angst wie ich“. Das erwischt einen mit der emotionalen Wucht von Kettcar-Großtaten wie „48 Stunden“ oder „Balu“, rührt aber auch an die hochpolitische Frage nach dem „richtigen“ Leben im falschen. „Und du tust, was du musst / Und du hoffst, dass es langt“ – da ist sie wieder: die Hoffnung.
(WAZ)


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