„Sing meinen Song“ ist furchtbar. „ Sing Mine Song “ ist jedoch eine großartige Idee. Bevor Jasmin Stocker aka Mine im Januar ihre erste ...

Mine - Hinüber

 

„Sing meinen Song“ ist furchtbar. „Sing Mine Song“ ist jedoch eine großartige Idee. Bevor Jasmin Stocker aka Mine im Januar ihre erste Single aus dem neuen Album „Hinüber“ herausbrachte, machte sie die Noten und den Text von „Unfall“ publik und bat um kreative Interpretationen des noch unveröffentlichten Liedes. 
Hören wir uns „Unfall“ doch einmal (ohne geheuchelte Begeisterung, Krokodilstränenherausdrücken und spontanes Aufspringenundmitklatschen) im Original und einem Querschnitt aus 96 Versionen an: 




 


Seit heute steht „Hinüber“ als CD, LP und limitiertes Box Set in den Plattenläden und es wert, dass man dafür einen Termin vereinbart, einen Schnelltest durchführt oder was-auch-immer-tut, um es in den Händen halten zu können. Im Opener und Titelsong zeigt Mine Balbina wie ein bombastischer Pop-Song geht. Ein politisches Statement wird, wie auch bei „Unfall“, inkludiert: „Ich bin 100 Jahre alt / Mein Kopf ist voll, die Füße kalt / Die ganze Welt hat sich auf meine Brust gesetzt / Der Mensch ist so ein argloses Geschöpf / Das Meer ist aus Plastik / Der Hunger ist groß / Solang’ du nicht matt bist / Lass ich dich nicht los.“ Unterstützung erhält sie dabei von Sophie Hunger, die nicht der einzige Gast auf dem Album bleibt. 
Wem das noch nicht dick genug aufgetragen ist, der kann sich auf „KDMH“ und woodkidschen Pomp freuen. Ein weiteres Highlight ist das sanft pluckernde „Mein Herz“, das mich immer an die späten Quarks denken lässt, und gegen Ende ebenfalls Streicher anschwellen lässt. Ihre Begeisterung für Prince setzt Mine in „Elefant“ um, „Lambadaimlimbo“ ist der Song, bei dem man sich ärgert, dass Plattenspieler keine Skip-Taste haben, und zwischen gesellschaftskritischen und persönlichen Texten nimmt sich endlich einmal jemand thematisch der schönsten Nebensache der Welt an: „Eiscreme“. Eisdielentipps inklusive.
Wäre „Hinüber“ ein Eisbecher, so wäre es unter den deutschsprachigen Pop-Alben das „Cookie Dough“ von Ben & Jerry’s. 


 


Wirklich mitreißend sind die an den Opener anschließenden "Bitte bleib" oder "KDMH" mit seinem perkussiven Elektrobeat leider nicht, winden sich aber weiterhin in der unbequemen Grundstimmung. Gegen all dieses Elend ist der folgende Abgesang auf miesen Musikgeschmack, "Audiot", tendenziell harmlos. "Du magst Scheiße, doch es ist schon okay" – ach, na dann. Die Spoken-Word- bzw. Rap-Parts der Feature-Gäste Dexter und Crack Ignaz sind da schlagfertiger und witziger, denn da sind alle Otto-Normalhörer*innen schon längst "am Musikgeschmack gestorben".
So wenig überzeugend die oben erwähnten Stücke, so schlicht und ergreifend gut umarmt "Mein Herz" den Pop, beginnt reduziert, aber endet hymnisch. Darf Mine – oder irgendjemand – sich solche ausgelutschten Streicher und den elendigen Reim auf "Schmerz" überhaupt erlauben? Aber sicher, wenn schon die große Pop-Ballade, dann auch nach allen Regeln der Kunst. Da muss sie besagten Reim gar nicht elektronisch verfremden. "Elefant" bittet gleichermaßen ohne Rücksicht oder Schamgefühl zum Tanz mit den leicht verführbaren Synapsen, diesmal im Gewand eines falsettgetränkten Funk-Hüpfers. Steht Mine ihre selbst auferlegte Sperrigkeit nicht im Weg, gelingen ihr die herausragenden Songs – eine Kategorie, die das gedämpft-schwermütige "Tier" somit knapp verpasst.


3 Kommentare: