Den auf „Molecules“ (2018) eingeschlagenen Weg setzt Sophie Hunger gemeinsam mit ihrem Produzenten Dan Carey (Fontaines D.C., Kate Tempest, Bat For Lashes) weiter fort und reichert ihre Songs, die früher dem Jazz, Chanson und Folk, die in Nuancen noch erspürter sind, deutlich näher standen, weiterhin mit elektronischen Rhythmen und Klängen an. Am deutlichsten zu hören im leicht schrägen Titelsong mit seinen munter holpernden Beats.
„Alpha Venom“ ist der tempo- und druckreichste Song des Albums, der mit zahlreichen Soundeffekten und einem „hängende Schallplatte“-Moment zu überraschen weiß, dem mit „Rote Beeten aus Arsen“ eine Piano-Ballade folgt, während Sophie Hunger mit „Everything Is Good“ einen lupenreinen (Synth-)Pop-Song anschließt.
Vielleicht wird auf den 10 Songs, die diesmal nur in deutscher und englischer Sprache gesungen werden (und zwar im Verhältnis von 3:7), den akustischen Instrumenten wieder etwas mehr Raum zugestanden als auf der ersten Hunger/Carey- Kooperation.
Für die Aufnahmen begab sich die schweizerische Wahlberlinerin nach London in die legendären Abbey Road Studios, in denen „Halluzinationen“ in kürzester Zeit mit Band in nur sechs Durchläufen nahezu live eingespielt wurde.
Wie auf «Molecules» macht Sophie Hunger auch auf «Halluzinationen» keine schlechte Figur als Sounddesignerin und Beat-Produzentin. Man hört sich die Stücke an und denkt: Voilà, auch das kann sie. Und doch ist schade, dass hier die Konstruktion den Ausdruck kanalisiert, so dass die Stimmung die Stimme übertönt. Hier regiert nun meist ein quantifizierter Puls. Ihr Gesang kann aber weit mehr expressive Kraft entfalten, wenn die Phrasierung quasi von den Gezeiten der Atmung getragen wird.Manchmal braucht es auch nur ein Wort, einen Titel, damit sich das Singen ins Feuer steigern kann. So erweist sich hier der Song «Maria Magdalena» als Beschleuniger der Ausdruckskraft. Und in «Stranger», dem Album-Finale, lässt sich Sophie Hunger einzig von einem scheppernden Piano begleiten, um die Stimme frei changieren zu lassen zwischen temperiertem Sprechen und innigem Gesang. Vielleicht, so denkt man sich, müsste Sophie Hunger gelegentlich auf Synthesizer und die Hilfe von Freunden verzichten, um sich alleine vor ein Mikrofon zu stellen. Sie könnte sich wieder einmal ganz auf jene vokale Sensibilität verlassen, aus der ihre Musik gewachsen ist.
Wobei eine wie immer geartete Vulnerabilität Hungers (oder ihrer Protagonisten) durchaus Hand in Hand geht mit Trotz, Stärke und Kampfansagen – das vorab veröffentlichte „Rote Beeten aus Arsen“ lässt z.B. durchaus Schlüsse in dieser Richtung zu. Doch auch wenn die Rübe schwirrt ob aller interpretationsfreudigen Tiefgründigkeit – es ist der Zusammenklang der Musik mit dieser ausdrucksstarken, überaus eigenständig phrasierenden Stimme, die so fesselt. Ob beim basslastigen, poppigen „Liquid Air“ zu Beginn oder am Klavier bei „Finde Mich“, „Maria Magdalena“ oder dem melancholischen „Stranger“ zum Ausklang des Albums. Dem leicht schrägen und doch tanzbarem Titelsong, den Hunger auch schon auf ihrer letzten Tour zu Gehör brachte oder dem beswingten „Everything Is Good“.
Mit etwas Wohlwollem 7 Punkte
AntwortenLöschenIn den besten Momenten gerade erträglich. 5 Punkte
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