Der Schauspieler Tom Schilling brachte bereits vor fünf Jahren ein Album heraus, jedoch wurde „Vilnius“ noch als Tom Schilling & The Jazz Kids veröffentlicht. Bei „Epithymia“ sollte sein eigener Name nicht mehr plakativ auf dem Plattencover stehen, daher ist dort nun Die Andere Seite zu lesen.
Diese Redewendung wird häufig mit dem Tod, der anderen Seite des Lebens, gleich gesetzt und in Verbindung mit dem Albumtitel, der Wunsch oder Sehnsucht bedeutet, wird auch schon eine Richtung vorgegeben, in die sich Schilling in seinen Texten bewegt. Unheilvoll, unangenehm, aber auch sehnsuchtsvoll und poetisch sind diese geraten, und werden von Tom Schilling deklamiert, als stünde er auf einer Theaterbühne. Entstanden sind sie, als es dem Sänger nach eigener Aussage nicht so gut ging. Da dies bereits drei Jahre her ist, muss man sich um den psychische Gesundheitszustand von Schilling hoffentlich keine Gedanken mehr machen.
Den musikalisch größten Gegenpol auf dem Album bilden direkt die ersten beiden Songs: hier das düstere, hypnotische und in Post-Punk und Industrial ausbrechende „Das Lied vom ich“, dort das luftige, akustische „Aljoscha“, das in Tradition eines 70er Jahre Liedermachers steht. „Gera“ ist unverhohlen eine Hommage an „Venus In Furs“ von The Velvet Underground und „Heller Schein“ eine Verneigung vor dem Romantik-Komponisten Franz Schubert im Krautrock-Gewand. „Ins Nichts“ kombiniert schrille Gitarrenklänge und sanftes Piano im Progressive Rock-Wahnsinn, wie es Matt Bellamy & Co. auch nicht besser hinbekommen hätten. „Die Weide“ darf stellvertretend für den ruhigeren Pop Noir-Anteil des Albums genannt werden, bei dem einen ein Element Of Crime trifft Madrugada-Gefühl umschleicht.
Das Bandgefüge um Schilling herum soll weitestgehend gleich geblieben sein (dies wären also Christopher Colaço, Lenny Svilar, Leo Eisenach und Philipp Schaeper), ergänzt um den Gitarristen Charis Karantzas und den Produzenten Moses Schneider (Tocotronic, Beatsteaks, Turbostaat, Kante), dennoch thront der Sänger, Texter und Komponist auch ohne eigene Namensnennung auf der von der Künstlerin Natalie Huth collagierten Plattenhülle. Diese kann man mit Inhalt ab dem 22. April als CD und LP (black Vinyl) käuflich erwerben. Zudem gibt es noch ein opulent gestaltetes limitiertes Box Set: 180g coloured Vinyl in rot transparent, hochwertiger Kunstdruck der Collagenkünstlerin Natalie Huth, nummeriertes Echtheitszertifikat, signiert von Natalie Huth und Tom Schilling, 80-seitiges Songbook "Epithymia - arranged for Piano and Voice“.
Die Andere Seite unterwegs:
17.5.22 Salzwedel, Club Hanseat
18.5.22 Hamburg, Gruenspan
19.5.22 Frankfurt, Mousontrum
25.5.22 Berlin, Astra
29.5.22 Dresden, Beatpol
30.5.22 Leipzip, Werk2
31.5.22 Köln, Kulturkirche
Die fiese Gitarre von "Ins Nichts" tut beinahe körperlich weh, während Schilling vom grandiosen Scheitern singt, aber der Drive ist hervorragend. Demgegenüber stehen Orgel-Chansons wie "Als wär's das letzte Mal" oder lockere Folk-Fingerübungen wie die, nun ja, klassische Ballade "Aljoscha": Erzählt wird hier die melodramatische Geschichte eines suizidalen Nicht-Wunschkindes, wobei Text und beschwingte Instrumentierung zwei Seiten der gleichen Medaille ergeben. "Die Königin" groovt dagegen post-punkig und äußerst stilsicher auf das klassische Ende einer Tragödie zu: "Lass mich sterben, bevor Du mich verlässt.“"Auf den Dächern der Stadt ist der Tod Begleiter im Rausch": Auch "Bitter & süß" setzt auf tiefschwarze Romantik, aber je nach Gusto womöglich zu viel, also bloß bitter. Wo zum Beispiel Isolation Berlin die Querverweise in Richtung selbstverstümmelnder Betroffenheitslyrik und Melodramatik meistens ironisch brechen beziehungsweise ihrem versoffenen Indie-Charme unterordnen, meint Schilling seine Prosa todernst – im wahrsten Sinne des Wortes.
"Ins Nichts" ist stark. 7 Punkte
AntwortenLöschenKnappe 8 Punkte
AntwortenLöschenIch mag das Album! 7,5 Punkte
AntwortenLöschenIch auch. Ist natürlich schon auch viel Schauspiel 7
AntwortenLöschenAxel gibt 8
AntwortenLöschenIch nicht! 5 Punkte.
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