Nicht nur die Tindersticks setzen sich dieser Tage mit den Schrecken des Ersten Weltkrieges auseinander, auch die Einstürzenden Neubauten nehmen uns unter diesem thematischen Überbau mit auf eine 74-minütige Odyssee durch 14 "Songs". Und was Blixa Bargeld & Co. auf dieser Irrfahrt so alles anstellen ist schon beachtlich! Beispiele gefällig?
"Kriegsmaschinerie" eröffnet als fünfminütige, zum Titel passende Klang- und Geräuschinstallation, "Hymnen" ist eine multi-linguale Version von "Heil dir im Siegerkranz" / "God save the King", die mit einer Verballhornung schließt, die Ende des Ersten Weltkrieges aus Kriegsmüdigkeit und Unzufriedenheit an der Front entstand:
Heil dir im Siegerkranz!Kartoffeln mit Heringsschwanz.
Heil Kaiser dir!
Friss in des Thrones Glanz
Die fette Weihnachtsgans
Uns bleibt der Heringsschwanz
In Packpapier.
"The Willy - Nicky Telegrams" beruht auf einer telegrafischen Korrespondencz zwischen Kaiser Wilhelm II. und Zar Alexander II. und lässt Bargeld zu Percussion-Klängen mit Autotunes experimentieren, bei "In de Loopgraf" versucht er es zu metallener Untermalung mit dem Niederländischen und bei "Der 1. Weltkrieg" schlagen die Einstürzenden Neubauten 15 Minuten auf Kunsttoffrohre ein, während ihr Sänger Orte des Schreckens rezitiert und den Kriegsverlauf rekapituliert.
Wer das alles noch nicht schräg genug findet, soll sich auf "Der Beginn des Weltkrieges 1914 (Dargestellt unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators)" freuen, das direkt auf die Coverversion des Antikriegsliedes "Sag mir wo die Blumen sind" folgt: Bargeld leiht im sechs-minütigen Monolog den Tieren im irren Text von Joseph Plaut seine Stimme ("Nanananana Quak Quak, Nanananana Quak Quak"), der aus dem Jahre 1926 (!) stammt und am Ende einen Pfau "Hitler! Hitler!" schreien lässt.
Wer das alles noch nicht schräg genug findet, soll sich auf "Der Beginn des Weltkrieges 1914 (Dargestellt unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators)" freuen, das direkt auf die Coverversion des Antikriegsliedes "Sag mir wo die Blumen sind" folgt: Bargeld leiht im sechs-minütigen Monolog den Tieren im irren Text von Joseph Plaut seine Stimme ("Nanananana Quak Quak, Nanananana Quak Quak"), der aus dem Jahre 1926 (!) stammt und am Ende einen Pfau "Hitler! Hitler!" schreien lässt.
Doch „Lament“ ist mit seiner charakteristischen Geräuschlastigkeit bei gleichzeitigem Popappeal und vor allem den nicht selten ins Absurde rutschenden Brüchen eigentlich genau das: ein neues, sehr zeitgemäßes Album von den Industrial-Pionieren.
Es ist ein schöner Zusammenzuck-Effekt, wenn zu Beginn des zweiten Songs plötzlich ein Männerchor in der Melodie von „God Save The Queen“, der englischen Nationalhymne deutsch-patriotische Zeilen schmettert: „Heil dir im Siegerglanz, Herrscher des Vaterlands, God save the king“. Das kalkulierte Unbehagen, das solche Signalwörter auslösen, ist seit jeher eines der Leitmotive der Band, deren Musik immer schon teutonische Ästhetiken und gelegentlichen Dadaismus verband. Wie etwa im Song „The Willy – Nicky Telegrams“, das mit seinem vordergründigen Autotune-Gesang so klingt, als führe im Moment des Hörens ein schwarz lackierter BMW mit dem neuesten US-Shit vorbei.
Der Ausflug in die aktuelle Poplandschaft wird beantwortet von der konzeptuellen „Lament“-Trilogie, die mit einem meditativ-bedohlichen Dronestück beginnt, in dem ein verfremdeter Chorgesang die anstehende Apokalypse anzukündigen scheint. Das darauffolgende „Lament: 2. Abwärtsspirale“ erinnert mit seinen metallischen Schlägen und spannungsgeladenen Glissandi an die frühen Neubauten. Das Stück teilt das Album gleichzeitig in zwei Hälften und ist eine Art musikalisch-mathematisch Studie, wie den Linernotes zu entnehmen ist. So fallen die Töne darin spiralförmig ab, basierend auf einem Muster, das aus den einzelnen Zahlen des letzten Kriegsjahres besteht: 1-9-1-8.
(...) Was die Texte so besonders macht, ist ihre Ambivalenz und ihr Mut, wie im Fall von „God save the queen“, auch die falschen, die gescheiterten Perspektiven einzunehmen, ohne dabei in einen revisionistischen Pathos eines Ernst Jünger oder eine hyperreflektiv-postmoderne Metaebene zu verfallen.
„Ich weiß inzwischen, und das ist ja gerade heute sehr wichtig, dass Krieg nicht einfach kommt und wieder verschwindet. Krieg bricht nicht aus wie eine Seuche. Er ist immer präsent“, sagte Blixa Bargeld in Bezug auf das Album. Und genau das gelingt der Band mit „Lament“. Einen alternativen Raum zu öffnen, in dem das Schreckliche im Schönen, aber auch das Schöne im Schrecklichen Platz hat.
(Byte.fm)
Sie beschäftigen sich gleich zu Beginn mit der „Kriegsmaschinerie“ und bringen ständig neue Geräusche aus der Industrieproduktion ins Spiel, bis ein sonischer Wall entsteht, der zu einem atonalen Höhepunkt führt. Nach dieser Ouvertüre führen die Bandmitglieder in einem veritablen Husarenstück verschiedene Nationalhymnen zusammen.
In den erstaunlichen 15 Minuten von „Der 1. Weltkrieg (Percussion Version)“ rekapitulieren sie Entwicklungsabschnitte während des Ersten Weltkriegs. Blixa Bargeld benennt die nacheinander eintretenden Länder und seine Begleiter schlagen unaufhörlich auf Kunststoffrohre. Einige Stücke später kommen sie noch einmal auf denselben Inhalt zurück und erzählen vom Beginn der Auseinandersetzungen unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators. Bei der Erzählung über das Hinzustoßen der Kavallerie wird nervöses Federvieh ins Spiel gebracht, dazu bearbeiten die Musiker metallische Gegenstände, was sie früher bekanntlich sehr oft getan haben.
Heute ist so etwas Beiwerk. Heute sind die Neubauten variabler. Sie zitieren aus der telegrafischen Korrespondenz zwischen Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II., greifen dabei zum Mittel der Stimmverfremdung (Auto-Tune-Einsatz!) und vertrauen auf ein elektronisches Fundament und den harschen Klang von Peitschenschlägen. Das hat man in dieser Kombination nicht erwartet, aber es passt alles perfekt zusammen und geht unter die Haut. Auch „On Patrol In No Man’s Land“ fällt aus dem Rahmen. Das Stück stammt im Original von der 367. Infanterie-Band der amerikanischen Armee, die zum größten Teil aus Schwarzen bestand. Sie waren alle richtig gute Kämpfer, beherrschten aber auch den Umgang mit dem damals in Europa unbekannten Jazz.
Es gibt einiges zu entdecken auf diesem Werk, das nicht einfach nur ein Album mit Musik ist, sondern auch einen erzählerischen Faden enthält, der das Interesse von Anfang bis Ende auf sich zieht. Die Berliner Band thront erneut auf hohem Niveau und bleibt eine Institution.
(Musikexpress)
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