Wie kann man sich das vorstellen? Klingelte im Frühjahr 2023 plötzlich Zach Condons Telefon und im Display tauchte eine ihm unbekannte Nummer auf? Und dann stellte sich die Anruferin nicht als Mitarbeiterin seines Mobilfunknetzbetreibers sondern als Viktoria Dalborg, Direktorin des schwedischen Zirkus Kompani Giraff, vor? Und ehe Condon das Gespräch freundlich beenden kann, da er gerade sein Album „Hadsel“ fertigstellt und weder von Frau Dalborg noch von diesem Zirkus je gehört hat, berichtet sie schon von ihrem nächsten Projekt, der Adaption eines Romans von Judith Schalansky? Und möchte er vielleicht einwerfen, dass er auch weder „Verzeichnis einiger Verluste“ gelesen noch die deutsche Autorin kennt, als ihn Dalborg schon fragt, ob er die Musik für „Study Of Losses“ beisteuern möchte? Und weil der kreative Kopf von Beirut so ein netter Mensch ist, lehnt er nicht direkt ab, sondern informiert sich zunächst über das Buch, sieht sich Videos der Kompani Giraff an und ist dann so begeistert, dass er zusagt. Ja, genau so kann man sich das vorstellen.
Die Hauptthemen in Schalanskys Buch und in der Adaption für die Zirkusshow befassen sich mit dem Konzept des Verlusts und der Vergänglichkeit von allem, was uns bekannt ist: von ausgestorbenen Tierarten, verlorenen architektonischen und literarischen Schätzen bis hin zu abstrakteren Konzepten des Verlusts durch den Prozess des Alterns. Dazu passt der melancholische, wehmütige Orchesterpop von Beirut natürlich hervorragend. Sollten bei Zach Condon noch letzte Zweifel bestanden haben, räumt Viktoria Dalborg diese bei einem persönlichen Treffen und mittels einer Vorführung einer älteren Show durch ihre Akrobatentruppe aus. Condon schwärmt von der äußerst kreativen und ausdrucksstarken Darbietung sowie der gesamten Atmosphäre, die durch die Beleuchtung, das Bühnenbild und die Musik geschaffen wurde, und erlebt ein besonderes Erlebnis, das für ihn über ein normales Konzert oder Theaterstück hinausging.
Durch Show und Buch Inspiriert, stellt er 11 Songs fertig, als ihn Dalborg bittet, ob er einige Lieder mit instrumentalen Themen erweitern könne, um die Gesamtlänge der geplanten Aufführung zu erreichen. Condon komponiert fleißig weiter und kontaktiert die Cellistin und Arrangeurin Clarice Jensen, mit der er bereits für „No No No“ (2015) zusammenarbeitete, um Instrumentalstücke für zu ein Streichquartett zu arrangieren. Herausgekommen sind also für „Study Of Losses“ insgesamt 18 Lieder, die fast eine Stunde lang laufen. Im Video zu „Caspian Tiger“, das im letzten November der erste Vorbote zu diesem Projekt war, erhält man auch erste Eindrücke zur Show der Kompani Giraff:
„Study Of Losses“ ist über Condons Label Popmeii Records als CD und Doppel-LP (transparent blue Vinyl, dark & stormy Vinyl, smoked out blue Vinyl) veröffentlicht worden.
Andererseits aber sorgt die Funktion als Begleitmusik dafür, dass sich Condon auf Stimmungen konzentriert, die epischen Melodiebögen, die wie Wolken vorbeiwehenden Streicher, das monoton schrammelnde Banjo, dass alles ganz im Dienste einer Gemütslage steht, die ausschließlich zwischen Grau und Beige schillert.Sieben der 18 Stücke sind folgerichtig Instrumentals, aber auch in den Songs ist der Gesang immer wieder nur ein weiteres Instrument, singt Condon manchmal nur noch Hmmm oder Aahahah oder brummt wehmütig im Duett mit dem Cello. Das passt zum Thema des Albums, das sich, inspiriert von Judith Schalanskys Buch „Verzeichnis einiger Verluste“, so ausdauernd um Vergänglichkeit, Verlust und den eigenen Bauchnabel dreht wie die Songs, die wunderschön und doch vergeblich immer wieder dieselben Schleifen ziehen.
1 Comments
Vielleicht ein bisschen lang. Aber das hat ja seinen Grund. Knappe 7,5 Punkte.
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