Im letzten Sommer sahen wir bei der Premiere des A Summer's Tale Festivals viele tolle Konzerte, u.a. Damien ...

Jochen Distelmeyer - Songs From The Bottom, Vol. 1
























Im letzten Sommer sahen wir bei der Premiere des A Summer's Tale Festivals viele tolle Konzerte, u.a. Damien Rice, Belle & Sebastian, Ride, Get Well Soon oder Tori Amos. Zwischendurch wurden aber auch Workshops oder Lesungen angeboten, z.B. von Jochen Distelmeyer, der seinen Debütroman "Otis" äußerte sympathisch vorstellte, zu Beginn einen überaus langen Textausschnitt frei rezitierte, zwischendurch immer wieder regelrecht ins Plaudern geriet und zum Schluss zur Gitarre griff um zwei Songs akustisch darzubieten. Dies waren jedoch keine Songs von Blumfeld oder aus seinem Solo-Repertoire, sondern "I Read A Lot" von Nick Lowe und "Toxic" von Britney Spears, also zwei Coverversionen.

Offenbar hat ihn seine Lesereise nun zu "Songs From The Bottom, Vol. 1" angeregt, denn wir hören hier Diestelmeyer, wie er, meist nur zur Begleitung der akustischen Gitarre, sanft die Songs anderer Künstler interpretiert. Gelegentlich gibt es Begleitung von Piano ("Video Games"), dazu noch dezentes Klopfen ("I Could Be The One") oder Vogelgezwitscher ("Let's Stay Together"). Die Ausnahme von der Regel stellt das abschließende 99-sekündige "Beautiful Cosmos" dar, welches Distelmeyer acapella vortragen würde, wären da nicht im Hintergrund sphärisch wabernde Orgelklänge. Bei "Bittersweet Symphony" von The Verve verfällt Distelmeyer leider der nicht so guten Idee, dass die Streicher prima durch Pfeifen zu ersetzen sind. 
Und wie das bei Coverversionen immer ist, so findet man zu den Songs, die man bereits im Original kannte, einen besseren Zugang als zu den persönlich unbekannten Liedern, d.h. "Pyramid Song" (Radiohead) und "Video Games" (Lana Del Rey) gefallen mir besser als zum Beispiel "Just Like This Train" (Joni Mitchell) oder "I Could Be The One" (Avicii). Aufgrund des Anhängsels "Vol. 1" im Albumtitel darf man davon ausgehen, dass da in Zukunft noch mehr folgen wird. Mich würde es freuen. 




Trotz dieser kleinen Manierismen, die den Sänger Distelmeyer manchmal fast pedantisch klingen lassen, kann sie einen genau dort treffen, wo einen sonst nur Schmetterlinge und Schiffsschaukel-Kitzel kurz vor dem Überschlag besuchen kommen. Und so pfeift sich der Jochen eins (lustig? – nein, fromm) auf die Streichermelodie der „Bitter Sweet Symphony“, stimmt zum Fingerpicking dermaßen zart in „Turn Turn Turn“ ein, dass in diesem Moment alle 101 Coverversionen vergessen sind, die einem die 102. verleiden könnten. Und er kann einen Avicii-Song („I Could Be The One“) so vortragen, dass man sich fragt, ob das noch ein nachgeschobenes, allmählich verwehendes Outro zu Radioheads „Pyramid Song“ von vor fünf Minuten ist.

Man kann sich aber auch fragen, was das alles soll. Manifestiert sich hier die Auflösung der Hamburger in die Ein-guter-Song-muss-auch-allein-auf-der-Lagerfeuergitarre-bestehen-Schule? War damit alles umsonst? Und wie ist das mit der möglichen Avantgardisierung von Popmusik, der voranzutreibenden Aufbrechung von Strukturen, der Hoffnung, dass es journeys into sound gibt, die bislang noch niemand angetreten hat? Wofür sollte das alles gut sein, wenn der, der uns am Ende richtet, nicht nur aussieht wie Rick Rubin – sondern auch Rick Rubin heißt?
(musikexpress)




Doch schon mit Joni Mitchells „Just Like This Train“ hat Distelmeyer einen erwischt, so nah wie er Mitchell und seinen Hörern damit kommt, so intim, wie das zusammen mit den sanften Gitarrenakkorden klingt. So schön wie auf diesem Album hat Jochen Distelmeyer vielleicht noch nie gesungen, so kraftvoll und zart und verweht. Und natürlich zeigt sich in der Auswahl, dass Distelmeyer Pop in all seinen Schattierungen kennt und diesem mehr oder weniger verfallen ist. Er covert Entlegenes, Aztec Cameras „On The Avenue“ oder Nick Lowes „I Read a Lot“, gewissermaßen Klassiker aus Folk oder Soul von eben Joni Mitchell, Kris Kristofferson oder Al Green, aber auch Britney Spears Stück „Toxic“ oder Lana Del Reys „Video Games“, den großen Popkommerzstoff, den er ja erstmals auf dem dritten Blumfeld-Album „Old Nobody“ für sich entdeckt und einverleibt hatte.

Manche dieser Interpretationen sind wirklich sehr distelmeyerisch, denen vermag er seine eigenen Noten und Phrasierungen zu geben; andere sind herrlich luftig, wie Al Greens „Let’s stay together“ mit seinem Vogelgezwitscher oder das treibend pianolastige „I Could Be The One“ des schwedisch-holländischen DJ-Duos Avicci/ Nicky Romero; und richtig verunglückt erscheint zunächst The Verves „Bittersweet Symphony“ mit dem Pfeifen zu Beginn, das bollert und krumpelt ziemlich. Man möchte meinen, dass sich in diesem Pfeifen eine gewisse Ironie zeigt. Doch dagegen hat sich Distelmeyer in Interviews heftig gewehrt, auf diesem Album gebe es nicht einen Funken Ironie. Alles eins zu eins und ernst, alles bittersüß, alles nur ein Zwischenspiel.
(Tagesspiegel)


Jochen Distelmeyer unterwegs:

04.03.16      Chemnitz – Atomino
05.03.16      Dessau – Kurt Weill Fest
06.04.16      Dresden – Groove Station
07.04.16      Bremen – Lagerhaus
08.04.16      Magdeburg – Moritzhof
09.04.16      Hamburg – Knust
12.04.16      Essen – Zeche Carl
13.04.16      Bielefeld – Forum
14.04.16      Frankfurt – Brotfabrik
15.04.16      München – Volkstheater
16.04.16      Augsburg – Kantine
18.04.16      Düsseldorf – Zakk
19.04.16      Heidelberg – Karlstorbahnhof
20.04.16      Köln – Gebäude 9
21.04.16      Hannover – Lux
23.04.16      Stade – Hanse Song Festival
10.05.16      Braunschweig – Brunsviga
11.05.16      Berlin – BiNuu
26.05.16      Nürnberg – Z-Bau
27.05.16      Neustrelitz – Immergut Festival
28.05.16      Husum – Speicher

2 Kommentare:

  1. So viele Cover-Alben dieses Jahr...
    Dass Britney Spears-Songs im akustischen Gewand gut funktionieren, haben uns Travis schon vor Jahren gezeigt.
    6 Punkte

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