Natürlich, wenn ein Album „Golden Years“ heißt, muss es auch auf gold Vinyl erscheinen. Neben dieser limitierten Auflage gibt es das 14. Albums von Tocotronic auch als CD, Kassette, LP (transparent Vinyl) und - damit kommen wir noch einmal zum Aurum zurück - als special gold Vinyl im schwarzen Gatefold Cover mit 7’’ Vinyl mit zwei Bonussongs.
Bei Platten vor Gericht reichte es für Dirk von Lowtzow (Gesang, Gitarre), Jan Müller (Bass), Arne Zank (Schlagzeug) und Rick McPhail (Gitarre, Keyboards), der sich nach den Aufnahmen zu „Golden Years“ auf unbestimmte Zeit „aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen“ eine Auszeit von der Band nimmt, bisher nicht zur Goldmedaille.
Zumindest die Top 20 wurden mit den letzten drei Alben erreicht: „Nie wieder Krieg“ #11 (2022), „Die Unendlichkeit“ #5 (2018) und „Tocotronic (das rote Album)“ #9 (2015). Vielleicht geben sich die Hamburger ja auch mit der Silber- oder Bronzemedaille zufrieden. Schauen wir einmal, wie die professionellen plattenkritiker die Chancen von Tocotronic einschätzen:
Aber nicht nur die Vergangenheit ist nicht so glorreich, wie es schien, vor allem die Gegenwart sieht nicht gut aus: Berlin ist auch nicht mehr das, was es mal war („Bye Bye Berlin“), Depression greift um sich („Niedrig“), und in der Zukunft warten nur der Tod und sogar der jüngste Tag, der „nur einen Wimpernschlag entfernt“ ist („Ein Rockstar stirbt zum zweiten Mal“). Doch: Wir sind hier nicht im Selbstmordkommando, Dirk!Es gibt auch seltsam steifen Humor und Schüttelreime („Tanz“ auf „Romanz-e“ auf „Ambulanz“), die ein wenig Erleichterung verschaffen. Und es gibt den Song, der den Kopf musikalisch und inhaltlich nicht hängen lässt. „Denn sie wissen, was sie tun“ ist laut und kämpferisch und hat einen dermaßen überzeugenden Ton-Steine-Scherben-Vibe, dass man drei Minuten und 19 Sekunden doch tatsächlich glauben möchte, dass Küsse helfen gegen die, die „völlig selbstverständlich Fiesheit als Identität“ leben und „immer mehr“ werden. Die Hoffnung, dass uns vielleicht doch noch GOLDEN YEARS bevorstehen, stirbt also zuletzt.
Ernste Themen und Grübeleien auf dem Album einer Band, die dennoch gerne mit ihrem eigenen Humor kokettiert. Das schön rauschig-knisternde "Mein Unfreiwillig Asoziales Jahr" bringt mit seinem albernen Titel zumindest kurz Heiterkeit, auch wenn das lyrische Ich hier eher in Agonie erstarrt und sorgenvoll in die Zukunft blickt. Es sind kleine Mini-Dramen, die sich abspielen, so kämpft "Ein Rockstar Stirbt Zum Zweiten Mal" mit Bedeutungsverlust. "Es ist nur ein Wimpernschlag bis zum Jüngsten Tag": Die Hölle öffnet ihre Pforten, doch der Rockstar landet nur im Hospital. Ein überraschend harter Rocksong, besonders in Anbetracht der letzten Alben, die eine Transformation Richtung Pop durchliefen.Weniger Arrangement, dafür kompromisslos nach vorne, das dürfte Fans der Hamburg Years durchaus gefallen. Eine Phase, in der Tocotronic ihren Idolen Dinosaur Jr. und Hardcore-Punk-Bands nacheiferten. Auch "Bye Bye Berlin", eine leicht sarkastische Anklage der Berliner Kahlschlag-Politik, flirtet wieder mehr mit dem Lo-Fi-Pastiche der frühen Tage. (…)Es fühlt sich an, als ob Tocotronic mit "Golden Years" eine Trilogie über Leben, Tod und Unendlichkeit beenden. Eine Zeit, die uns allen viel Kraft, Mut und Hoffnung kostete, aber auch daran erinnerte, was Menschlichkeit bedeutet. So ist mit "Golden Years" vielleicht die Zeit gemeint, die wir miteinander und nicht mehr gegeneinander verbringen.(laut)
Die an der Rätselhaftigkeit des Daseins knabbernden Slacker geben Tocotronic wie üblich nur noch selten. Etwa in "Mein unfreiwillig asoziales Jahr", das zu Jaul-Gitarre und windschiefen Streichern entweder die Corona-Isolation rekapituliert oder aber dem eigenen LoFi-Frühwerk zunickt. Der flackernde Dub-Reggae "Niedrig" hingegen beklagt omnipräsentes Niveaulimbo so umnachtet, als hätten sich Die Sterne für das ähnlich entrückte "Klebrig-vermutlich" die Geister-Mundharmonika von Clinic geborgt. Kein Außen mehr? Gut möglich, wenn das prächtig wogende, gniedelige Quasi-Epos "Wie ich mir selbst entkam" über Identität und Chaosmose brütet und "Der Seher" die Dynamik so weit anzieht, bis der pointierteste Hit herauskommt, zu dem man hier mit dem Popo wackeln kann. Man sollte sogar, denn wenig später heißt es: "Ich verbrenne jeden Tag einen neuen Song / Über die Todesangst, die mich besuchen kommt, wenn ich nicht schlafen kann." Die Folter endet nie. Dieses großartige Album nach gut 40 Minuten leider schon.
2 Comments
Diesmal könnte es fürs Treppchen reichen. Ich lege jedenfalls schonmal 9 Punkte vor, auch wenn ich das Bild vom Maulwurf im schwarzen Meer albern finde.
AntwortenLöschenIch bin auch ein bisschen begeistert und vergebe (mindestens) 8,5 Punkte.
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