Sagen wir, wie es ist: „Rare“ ist nicht „Well Done“.  Auf ihrem zweiten Album haben Schnipo Schranke ihr Rezept ni...

Schnipo Schranke - Rare




















Sagen wir, wie es ist: „Rare“ ist nicht „Well Done“. 

Auf ihrem zweiten Album haben Schnipo Schranke ihr Rezept nicht geändert: wie beim Vorgänger "Satt" gibt es 11 LoFi-Songs an der Grenze zu NDW und Schlager, denen ein kurzes Intro voran gestellt ist, darunter findet sich der ein oder andere Leckerbissen (wenn auch kein so mundender wie „Pisse“, den intro zum Song des Jahres kürte), aber auch noch mehr Füllmaterial, ein paar niedliche Reime, die an Die Ärzte früher denken lassen und jede Menge Schmuddel-Jargon, der nach der Vertonung eines Charlotte Roche-Romans oder wahlweise einer Kindergartengruppe in ihrer Kack-Pups-Scheiß-Phase klingt.

Hier meine - natürlich reine Geschmackssache - Garstufen:
raw: „Dope“, „Immermehr“, „Sag niemals ihh“
rare: „Pimmelreiter“, „Wieder allein“
medium rare: „Intro“, „Murmelbahn“, „Ritter in der Nacht“
medium: „Herr Schulz ist tot“, „Haschproleten“, „Stars“
well done: „Gast“




Das Klavier, der Synthesizer, die Drums haben mehr zu tun und sind nicht mehr nur bloßer Nebenschauplatz. So entsteht Dramaturgie, und Schnipo Schranke wissen damit zu spielen. Das machen sie sogar so gut, dass ein Song wie „Herr Schulz“ – würden darin keine harten Pimmel und Taschenbongs Erwähnung finden – so mitreißend inszeniert ist wie ein Stück aus einem Disney-Film.
Die Klavierakkorde tanzen, Fritzi mimt den epochalen Einpersonenchor, die Flötenmelodie braust auf, und man sieht vor dem inneren Auge schon vergnügt und vertrauensselig die kleinen Vögelchen auf dem Fensterbrett von Cinderella zirpen, während sich im Hintergrund bedrohlich der Himmel zusammenzieht. Herr Schulz ist nämlich tot. To-hot! Bei so viel Pop-Spektakel geht aber, und das ist die hohe Kunst von Schnipo Schranke, der Witz nicht verloren. Man darf ruhig ein bisschen giggeln, auch wenn einer stirbt. Oder die Liebe unerfüllt bleibt. Oder Familienmitglieder die eigene Jugend versaut haben. Oft ist es nun mal genau so wie Dani es in „Stars“ besingt: „Mein Real Life ist immer filmreif.“
(musikexpress)




Ungeachtet dessen gilt auf "Rare" des Öfteren: Gestorben wird immer. Zum Beispiel in "Herr Schulz ist tot", auch wenn der Song flötende Keyboards hoppeln lässt und Ernst und Reis dazu einen erstaunlich aufgeräumten Abgesang anstimmen – imaginierter Samenraub inklusive, wie es zum guten schlechten Ton gehört. Der größte Wurf gelingt den zwei Wahl-Hamburgerinnen jedoch, wenn die Beats schweigen und entwaffnende Schönheit regiert: Der abwechselnd resignierten und vor Euphorie förmlich platzenden Stalker-Ballade "Gast" genügen ein wie aus einem AOR-Hit der Sorte "Don't stop believin'" herausoperierter Piano-Taumel und hoffnungslose Verschossenheit, um auch dem stolzesten Mannsbild das Herz zu brechen: "Und dann bin ich da / Sind wir dann ein Liebespaar?" Wer hier nein sagt, ist doof. Ein Lied, das Leben retten kann.
Ab diesem sprachlos machenden Prachtstück kann "Rare" im Grunde nach nur noch abbauen – und tatsächlich schrammt das Duo in der Folge zusehends an den zuvor auf den Punkt gebrachten Arrangements und unbedarften Sinnlosigkeiten vorbei, wirkt zuweilen gar merkwürdig angestrengt. Weder das an sich launige Tourtagebuch "Haschproleten" noch der Ironie-Bolzen "Stars" zünden vollends, die bekiffte Familientragödie "Dope" entpuppt sich als Trantüte ohne Vitamine – vor allem im Vergleich zum tiefenentspannten, souverän auf HipHop-Groove und elektronischem Wurmfortsatz daherswingenden "Murmelbahn", bei dem Schnipo Schranke lieber im Kinderzimmer hocken statt in die Disco gehen. Wir empfehlen dazu die Facebook-Gruppe "Das wird mir alles zu kindisch hier, komm Teddy wir gehen" – und weite Teile dieses oft brüllend unkomischen Albums.
(Plattentests)


Schnipo Schranke unterwegs:

08.03.2017   Oberhausen (Druckluft)
09.03.2017   Köln (Gebäude 9)
10.03.2017   Frankfurt (Zoom)
11.03.2017   Stuttgart (Im Wizemann)
13.03.2017   München (Hansa 39)
14.03.2017   Erlangen (E-Werk)
15.03.2017   Leipzig (Conne Island)
16.03.2017   Dresden (Beatpol)
17.03.2017   Berlin (SO 36)
18.03.2017   Hamburg (Uebel&Gefährlich)

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