Dass die Promo-CD von Yaël Naïm auf meinem Schreibtisch schon deutlich Staub angesetzt hat, liegt weniger an der fehlenden musikalischen Qualität als an den Sonderzeichen im Namen der französisch-israelischen Singer/Songwriterin. An das Auffinden des norwegischen ø oder des isländische Þ auf der heimischen Tastatur hat man sich nach einigen Jahren des Plattenvorstellens schon fast gewöhnt, aber nun kommen in einem Namen sowohl ein ë als auch ein ï vor! Zumindest habe ich auf diesem Wege den Begriff Diärese kennen gelernt.
Aber zurück zu "Older", dem mittlerweile vierten Album der Künstlerin mit den zwei Sonderzeichen: 10 der 11 Titel werden uns in englischer Sprache präsentiert, nur auf "IMA" werden Französisch, Hebräisch und Englisch durchmischt. Bunt zusammengesetzt sind auch die musikalischen Stilrichtungen: Den verspielt-naiven Pop von "I Walk Until" und "Make A Child" präsentiert Naïm zu Klavier- und Xylophon-Klängen, Handclaps und Kinderchor dürfen auch nicht fehlen und fertig ist der perfekte Anschluss an ihren, Dank Apples Werbespotgnaden, größten Hit "New Soul". Dem gegenüber stehen ruhige, reduzierte Chanson-Momente ("Coward", "Older"), das musical-hafte "She Said", sowie Motown- und Soul-Referenzen ("Dream In My Head", "Trapped"), die im Radio ideal zwischen Adele und Leslie Clio laufen könnten.
Insgesamt ist die erste Hälfte der Platte, die in "Coward" ihren Höhepunkt hat, deutlich stärker als die zweite, die mit "Walk Walk" und "Take Me Down" für mich sogar zwei regelrechte Anwärter auf die Skip-Taste zu bieten hat.
Noch besonderer wird es bei "Coward". Zunächst doppelt Yael nur das Klavier. Den Großteil des Liedes aber macht dann feiner Satzgesang aus, vor dessen Kulisse Naim ihre inneren Ängste besingt. Gegen Ende entfaltet der Titelsong "Older" seine leisen Schwingen zwischen Lykke Li und Christina Perri.
Den Höhepunkt des Albums markiert aber weder neckische Leichtigkeit, noch eine nachdenkliche Ballade. Sondern das mittendrin angesiedelte "Trapped". Die Folk-Elemente sind vorhanden, ein ruhiger Beat zieht sich durch das Stück, Backgroundchor und Bläser sorgen für Harmonie, Streicher fetten die Basis an. Verpackt ist das alles in eine fingerschnippende Tanznummer. Als Taktgeberin verkörpert Yael Naim Eleganz und Verführung, stimmlich brilliert sie. In diesem wiegenden Mid-Tempo geht sie vollends auf.
Eigentlich hat "Older" alles, was es braucht: eigenen Stil, Abwechslung, eine tolle Sängerin. Häufig fehlt aber das mitreißende Quäntchen. "IMA" berührt, "Trapped" ist nahezu perfekt, "Coward" besticht mit Ungewöhnlichkeit. Sie haben es. Die anderen Tracks sind durch die Bank gut, können sich aber leider nicht immer richtig durchsetzen.
(laut)
Ihre Vielfalt lassen sich Naim und ihr jahrelanger musikalischer Partner David Donatien, der auch diesmal an einigen Stücken beteiligt ist, also nicht nehmen. Ob Soul-Anklänge oder Gospel-Gewippe wie in "Walk walk" – Naim bringt in knapp 40 Minuten vieles unter, ohne dabei an Authenzität einzubüßen. Umso ärgerlicher, dass ausgerechnet der Titelsong in allzu sanftem Klavier- und Gitarrenspiel untergeht. Doch neben dem energiegeladenen "Take me down" oder dem malerischen "She said" kann das schon mal passieren. Und nichtsdestotrotz ist Yael Naim gewappnet für den zweiten Durchbruch. Jetzt heißt es nur noch: Daumen drücken!
(Plattentests)
Da den guten Songs ("Coward"!) wirkliche Scheußlichkeiten wie "Take Me Down" entgegen gesetzt sind, komme ich leider nur auf: 6 Punkte
AntwortenLöschenAls ich mir die Wertung im Sommer notierte, war "Weihnachtliche 5,5 Punkte" nicht als Lob gedacht.
AntwortenLöschen