Würde man die kanadischen Stars einer gründlichen medizinischen Untersuchung unterziehen, könnte man vielleicht festst...

Stars - No One Is Lost



















Würde man die kanadischen Stars einer gründlichen medizinischen Untersuchung unterziehen, könnte man vielleicht feststellen, ob mit den Stimmbändern von Torquil Campbell etwas nicht in Ordnung ist, denn auf "No One Is Lost" überlässt er Amy Millan ungewöhnlich häufig das Mikrofon.
Definitiv könnte diagnostiziert werden, dass die Stars erhöhtes Discofieber haben ("From The Night"), an Kitschismus erkrankt sind ("Turn It Up" mit Kinderchor), an progredienter David Guettaisierung leiden ("No One Is Lost") und den Folgen einer heftigen Amnesie unterliegen, denn sie haben offensichtlich vergessen, wie man großartige wie "Elevator Love Letter", "Your Ex-Lover Is Dead" oder "Take Me To The Riot" schreibt.

Die sechs Alben zuvor wurden von Krisen, Ängsten und Trennungen geprägt, sogar der Tod der Eltern war Thema. Vor NO ONE IS LOST hat sich die Band nun gesagt: Es geht uns gut, mal sehen, was sich daraus machen lässt. Man weiß: Geht es dem Künstler zu gut, sucht sich die Muse ein anderes Opfer. Es dauert dann auch ein bisschen, bis man ins Album findet.

Der handgemachte Disco-Pop der ersten Tracks wirkt unbeholfen. Viel besser ist das trotzige „Turn It Up“ mit Kinderchor, Bläsern und Streichern, auch Amy Millans sphärisch-schwelgerische Komposition „No Better Place“ funktioniert. Ihr Gesangskollege Torquil Campbell hält direkt mit dem epischen „What Is To Be Done?“ dagegen, und langsam, aber sicher dämmert es, wie Stars das mit den besten Jahren meinen: Gut ist auf Erden, was bald ein Ende finden wird.

Die Band hat das bei den Aufnahmen in doppelter Hinsicht zu spüren bekommen: Erst wurde bei ihrem Manager eine Krebserkrankung diagnostiziert, dann machte ihre Stammkneipe „The Royal Phoenix“ dicht. Da steht man nun rum, mit Angst um einen Freund und ohne was zu trinken. NO ONE IS LOST? Bittere Ironie.
(Musikexpress)

Bedauerlicherweise schöpfen Stars die reizvollen Begleitumstände der Produktion von No One Is Lost nicht konsequent aus: Das Studio befand sich über dem Schwulenclub The Royal Phoenix in Montreal, Discobeats und tiefe Bässe wummerten durch den Boden der Aufnahmeräume und fanden auf quasi hypnagogische Weise Einzug in die Songs. Allerdings nur in ein paar (die dann auch richtig super sind). No One Is Lost hätte ein großes, glossy Discoalbum werden können, das Ausgehen, Tanzen und In-der-Musik-Verlorengehen als Heilmittel gegen den ganzen Scheiß des Alltags propagiert und zelebriert, mit Amy Millan als allwissender Queen. Das wollten Millan, Campbell, Evan Cranley, Chris Seligman und Pat McGee dann anscheinend doch nicht und ließen es mit ein paar Dance-Grooves, einem in den Opener gesampelten Whitney-Houston-Lachen und einigen Field Recordings aus dem Royal Phoenix gut sein.

Das ist schade, denn Zeilen wie »I don’t care if we never come back from the night« und die pulsierenden, triumphalen Songgroßtaten »From The Night«, »No One Is Lost« oder »This Is The Last Time« tanzen genau auf dem schmalen Grat zwischen Glamour und Tragik, der die eskapistische Vorfreude der Werktätigen aufs Wochenende (oder whatever gets you through the night) ausmacht. Diese Sehnsucht nach dem einen magischen Moment, der womöglich nie kommt und von dem trotzdem alles abhängt – Euphorie und Absturz, das perfekte Stars-Terrain.

Doch der Mittelteil des Albums ist zu schwächlich-säuselnd geraten, als dass von der Erlösungsverheißung der Disco mehr als eine Ahnung (durch die Clubdecke sozusagen) bleiben könnte. Mit »Trap Door« kommt zwar der Beat zurück, aber dank Torquils theatralischem Gesang lauert ein schmalziges Gespenst hinter der Spiegelsäule, das auch von einer Trompete nicht vertrieben werden kann. Singt Amy Millan allein (»Are You OK?«, »Turn It Up«), ist alles gut, aber mit ihren Songs ist man aus der Disco auch schon wieder draußen auf bewährtem Indiepop-Boden.
(Spex)

Stars in Deutschland:
19.01.15 Frankfurt, Zoom
20.01.15 Köln, Luxor
21.01.15 Hamburg, Knust
22.01.15 Berlin, Nuu
23.01.15 München, Strom


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