Sollte mich jemand nach meinen österreichischen Top 5 Künstlern fragen, müsste ich wohl oder übel, um die Liste zu vervol...

Naked Lunch - All Is Fever

















Sollte mich jemand nach meinen österreichischen Top 5 Künstlern fragen, müsste ich wohl oder übel, um die Liste zu vervollständigen, spontan Falco und Opus mit aufnehmen.
Ganz oben thront jedoch eine Band aus Klagenfurt, bei der ich bis vor einigen Wochen gar nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob sie noch existiert, denn irgendwie waren Naked Lunch von meinem Radar verschwunden.

Nachdem das Quartett 2004 mit "Songs For The Exhausted" für mich debütierte - es waren aber bereits 3 eher rockige Alben vorangegangen -, musste ich 3 Jahre auf "This Atom Heart Of Ours" warten. Auszeiten, Krankheiten, Wechsel im Bandgefüge, Probleme mit Plattenfirmen und ein abgebranntes Studio verhinderten möglicherweise einen größeren Bekanntheitsgrad von Naked Lunch, deren Mischung aus Indierock und Indietronic in den letzten Jahren immer wieder Vergleiche zu The Notwist herauf beschwor und gute Kritiken folgen ließ. 

Mit "Universalove" veröffentlichten Oliver Welter, Herwig Zamernik, Stefan Deisenberger und Alex Jezdinsky 2009 einen Soundtrack und 2011 erarbeiteten sie in Zusammenarbeit mit dem Autor und Regisseur Bernd Liepold-Mosser die Musik für eine Inszenierung von Franz Kafkas "Amerika". Das gleichnamige Album wurde jedoch nur in einer Auflage von 2000 Stück veröffentlicht. Beide Alben gingen an mir vorbei, doch mittlerweile gibt es mit "All Is Fever" wieder ein neues, reguläres Studioalbum  - und dieses ist toll (vielleicht sogar ihr bestes) und absolut empfehlenswert.

Am Anfang steht "Keep It Hardcore“, ein Fünfeinhalbminutenepos aus Britpop und Wave Rock, das sich aus einem dunklen Riff in den Himmel erhebt. "Keep it hardcore/ Keep it real/ (…) Like a hammer/ Like a bullet/ Like a bomb“, singt Oliver Welter und bringt damit wohl das Selbstverständnis der Band auf den Punkt. Das folgende "The Sun" ist gleichzeitig britische Tristesse und Spaghettiwesternmusik mit Röhren glocken, Pauken und barmenden Geigen. Große Gefühle, die "At The Lovecourt“ weiterführt: Das langsam trottende, in Goth und Indie-Rock getauchte Lied klingt wie das feierliche Ende eines bewegenden Films. Dann ist man mittendrin im Album. Der dunkle Schunkler "Shine On“ führt in die Tiefe, Naked Lunch evozieren Blur und die Beatles und was nicht alles. Ab hier geht es weiter hinein in die Stille – mit drei, vier Liedern, die allein für ihre abenteuerlustigen Klänge und ungewöhnlichen Arrangements Applaus verdienen. Am Ende steht "The Funeral“, bei dem Welters zu Harmonium und Geigen sonderbar beiläufig ein Lied vom Tod singt. Synthies auf Kristallbergen, Schlagzeuge in Tropfsteinhöhlen, Lieder wie schöne Fieberträume: Die Integrität dieser Kompositionen und die souveräne Produktion von Bassist Herwig Zamernik sind außerordentlich.
(Rolling Stone)


Das Genre Indie wäre zu weit-, und Indie-Pop zu enggefasst um die Musik zu beschreiben. Vom Notwist inspiriertem Alternative-Rock hat sich Naked Lunch wegbewegt, und ihren musikalischen Reifungsprozess bringen sie auf dem neuen Album auf den Punkt. „All Is Fever“ ist gespickt mir Chorgesang, der aber komplett verschiedene Stimmungen hervorrufen kann. Mal ist er folkig und erinnert an Grizzly Bear und Fleet Foxes, mal hört es sich nach einem sanften Kirchenchor an. Und auch in der Musik spiegeln sich diese Strömungen wieder. Der Kirchenchor bekommt ein verstärkendes Echo und langatmige Instrumentierungen. Die Folk-Sänger werden mit starken Drums und kreativen Melodien unterstützt. 

Und immer wieder lassen sich Musical Anspielungen heraushören. Keine bestimmten, sondern das Gefühl „Musical“ wird mit großen Melodien hervorgerufen. Vor allem „The Sun“ hat mit der üppigen Instrumentierung mit Pauken, Streichern und Glockenspiel nicht nur Weihnachtslied-Qualitäten, sondern auch Soundtrack-Potenzial. Ebenso ist es bei „At the Lovecourt“, das neben „Shine On“, bestens geeignet wäre, eine Hochzeitsszene in einem Indie-Film zu untermalen. „Shine On“ hat auch ein bisschen Beatles-Charakter ab Minute zwei, wenn zum repetitiven Refrain gerasselt wird und die E-Gitarren harmonisch mit den Drums verschmelzen. 

Einen besonderen Ohrwurm beschert „41“. Die Melodie ist so ausgeklügelt, das sie beim ersten Hören richtig glücklich erscheint, und die unterschwellige Verzweiflung erst langsam durchsickert. Den Köder wirft dieser Song aber ganz anders aus. Um beim Filmmusik Vergleich zu bleiben: Willy Wonka hätte sich keinen schöneren Chorgesang für seine große Einweihung der Schokoladenfabrik wünschen können. Leider kommt dieser Hook nur noch im Hintergrund vor, aber dieser Song hat ohnedies immens viel Power, so dass er, wenn er langsam von einem elektronischen Flimmern überlagert wird, klingt als würden den Jungs die Batterien ausgehen. Ein schönes Ende, vor allem wenn man bedenkt, dass es zurzeit eher ein harscher Schluss, dem Fade-Out vorgezogen wird.

Ein vielseitiges Album wie dieses gibt aber auch weniger powervollen Liedern Raum sich zu entfalten. Trauer beherrscht Naked Lunch besonders. Deswegen machen auch „Dreaming Hiroshima“ und „The Funeral“ ziemlich unglücklich, vor allem wenn man auf den Text hört. Denn obwohl der Wille da ist, das Positive an einer schlechten Situation zu sehen, ist der Sachverhalt einfach zu frustrierend um so leicht überwunden zu werden. 

„The Funeral“ hat eine ziemlich zurückhaltende Melodie, mit einem Klatschen, das als Beat verwendet wird. Der Text hat es aber in sich, so dass man diesen Song nur öfter hören kann, wenn man hart im nehmen ist. Wie der Titel schon sagt geht es um das Begräbnis der Frau der Protagonisten, die sich das Leben genommen hat. Zwar gibt es einen Refrain, doch die Songstruktur ist eher eine Schilderung des Alltags, vom Tod der Person bis zum Tag des Begräbnisses. Natürlich wird die Frage nach einem Jenseits aufgeworfen, und so machten einem die Zeilen „Will I meet you again? Is it the start or is it just the end?“ nicht unbedingt Hoffnung.

„All is Fever“ vollzieht einen harmonischen Bogen. Angefangen mit einem perfekten Opener „Keep It Hardcore“ mit langem Intro und jugendlichem Größenwahn in den Lyrics und der Attitüde. Bis hin zu „The Funeral“, dass einen beim ersten Mal Hören vielleicht niederschmettert. Harmonisch ist das Album wegen dem zielstrebigen und sehr überdachten Stil der Band. Nicht zu erwähnen, dass es auch angenehm zu hören ist, also sollte nichts gegen ein Probehören sprechen!
(music austria)

Naked Lunch in Deutschland:

07.04.13 München, Feierwerk
08.04.13 Stuttgart, Zwölfzehn
09.04.13 Köln, Studio 672
10.04.13 Hamburg, Übel & Gefährlich
11.04.13 Berlin, Privatclub
12.04.13 Leipzig, NaTo

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