Familiengeschichten: Emilíana Torrinis musikalischer Partner und Produzent Simon Byrt ist mit ihrer Freundin Zoe verheiratet. Als deren Mutter, Geraldine Flower, verstarb, spendete sie ihrer trauernden Freundin Trost, gemeinsam sichteten sie zufällig gefundene, alte Briefe, Fotos und Tagebücher der Verstorbenen, wodurch sich ihnen ein außergewöhnliches Geheimleben offenbarte. Auf textlicher und musikalischer Ebene wollten sie zusammen Miss Flower, die beispielsweise neun Heiratsanträge erhalten, aber nie geheiratet hatte, neues Leben einhauchen. So basiert beispielsweise „Love Poem“ auf einem von Geraldine Flower geschriebenen Liebesgedicht oder erzählt „The Golden Threat“ die Geschichte eines Ex-Partners, der in leidenschaftlichen Briefen an sie beschreibt, wie er ständig an sie denkt, selbst wenn er mit seiner neuen Partnerin im Bett ist.
„Miss Flower“ ist - nach zwei Kooperationen mit The Colorist Orchestra - das erste Soloalbum von Emilíana Torrini nach mehr als zehn Jahren, denn „Tookah“, ihre sechste Platte, war bereits 2013 veröffentlicht worden. Nicht nur die Entstehungsgeschichte des Albums ist ungewöhnlich sondern auch die Musik darauf: Es wird von dunkler Electronica eröffnet, zu denen die Isländerin mehr spricht als singt („Black Water“), gleiches gilt für das anschließende, mehr Richtung Trip Hop tendierende „Lady K“. Folkigere Klänge gibt es erstmals auf „Dreamers“ zu hören, das „Love Poem“ wird zu pluckernden Synthesizern vorgetragen.
Als Vorbild für „Miss Flower“ nennt Emilíana Torrini das Album „I’m Your Man“ von Leonard Cohen, so auch bei „Let’s Keep Dancing“, das einen letzten Tanz, einen letzten Abend vor einer Trennung thematisiert. Hierfür har Simon Byrt einen Song gesampelt, den Miss Flomes trinidadischer (Ex-)Freund Harold Prieto ihr Anfang der 80er Jahre auf einer Kassette geschickt hatte.
Es geht um Begierde (zum Teil aus Sicht der männlichen Briefschreiber), Liebe und weibliche Selbstbestimmung im letzten Jahrhundert. Stilistisch oszilliert die isländische Musikerin mit italienischen Roots zwischen Gitarren- und Synthie-Pop mit Spoken Words, sowie zwischen an karibische Steeldrums erinnernden Beats („Let‘s Keep Dancing“) und Piano-Klassik mit Field Recordings („A Dream Through The Floorboards“).Der Reiz der Platte liegt nicht nur in der musikalischen Vielschichtigkeit, die nie erzwungen wirkt, sondern auch in der Ambivalenz der Texte: Einige Stücke sind sinnlich und erzählen bildreich von realen Orten oder Straßen wie etwa „Black Lion Lane“ in London. Andere Songs sind kryptischer und wären verständlicher, wenn wir einen Blick in die Briefe werfen dürften. Dass das nicht geht, macht die Musik wiederum geheimnisvoller.
7,5 Punkte
AntwortenLöschenAxel gibt 7.5
AntwortenLöschenAls Fan-Boy lande ich bei 7 Punkten.
AntwortenLöschenAls kein Fan-Boy lande ich bei diesem Album bei 7,5 Punkten. Mehr Punkte hat sie von mir noch nie bekommen, glaube ich.
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