Nein, wir sind hier nicht in Seattle. Denn den klassischen Plattenbau gibt es dort vermutlich nicht. Im Osten von Berlin sind wir, in Karlsh...

Nichtseattle - Kommunistenlibido


Nein, wir sind hier nicht in Seattle. Denn den klassischen Plattenbau gibt es dort vermutlich nicht. Im Osten von Berlin sind wir, in Karlshorst um genau zu sein, da Katharina Kollmann aus diesem Stadtteil stammt. Nach dem selbst veröffentlichten „Wendekind“ (2019) ist „Kommunistenlibido“ das zweite Album von Nichtseattle, das über Staatsakt veröffentlicht wird.

Nein, wir sind hier auch nicht bei Tocotronic. Und bei Grunge schon einmal gar nicht. Die Berlinerin ist mit der Musik von Liedermachern wie Hermann van Veen oder Ludwig Hirsch aufgewachsen und verdient sich ebenfalls diese Begriffszuschreibung. Die neun Songs von „Kommunistenlibido“sind melancholische Milieustudien, vorgetragen mit einer an Judith Holofernes erinnernden Stimme, die teilweise gedoppelt wurde, und höchst puristisch instrumentiert: Neben der Gitarre tauchen im Mix von Olaf O.P.A.L. (The Notwist, Die Sterne, International Music und viele andere) sporadisch Schlagzeug (Sebastian Alwin) oder Flügelhorn (Frieda Gaweda) auf, so dass einem im Verlauf der 50 Minuten beispielsweise Daughter oder PJ Harvey in den Sinn kommen.     

„Kommunistenlibido“ ist als Doppel-Vinyl samt Songbook der Illustratorin Fania Jacob zu haben.


 


Viel eher erinnert „Kommunistenlibido“ an Vor­gän­ge­r*in­nen wie die Österreicherin Eva Jantschitsch alias Gustav oder auch den Peter Licht seines Albums „Lieder vom Ende des Kapitalismus“. Auch bei Nichtseattle klingt alles gekünstelt und artifiziell, gleichzeitig intim, nah und dadurch eben nachvollziehbar: Die große Parole und das absolut Persönliche.
„Kommunistenlibido“ ist allerdings keine Befindlichkeitsmusik; ob Trauer, Liebeskummer, angehende Liebe oder nur allgemeine Verwirrung packt die Künstlerin als Spezielles und Allgemeines an. Die Kollmann’sche Relativitätstheorie ist derweil eine, die noch den stärksten Affekt in Relation zur Gesamtsituation zu setzen weiß. So kreisen ihre Icher­zäh­le­r*in­nen zwar immer auch um sich selbst, der Kosmos als Bühne für den großen und kleinen Kummer wird dennoch nie ausgeblendet.
(TAZ)


 


Dieses Kann-man-auch-mal-anders-Sehen, auch das hat Katharina Kollmann, Texterin, Sängerin und Gitarristin aus Berlin, drauf auf ihrem zweiten Album als Nichtseattle, weswegen KOMMUNISTENLIBIDO vieles ist: großartiges Singer/Songwriter*innentum; Wiederaufleben der Hamburger Schule, aber unter feministischen Vorzeichen; gesellschaftliche Analyse mit politischem Bewusstsein jenseits von Parteiengrenzen, die auch mal ganz simpel daher kommt: „Die guten Leute sind satt.“
So komplex die Inhalte, so scheinbar spartanisch die Umsetzung: Kollmann dehnt die Sätze über Reimgrenzen hinweg über einer einfachen, aber nicht simplifizierten Gitarre, deren chirurgischer Kühle das Flügelhorn von Frieda Gaweda gelegentlich eine atemberaubende Wärme entgegensetzt. Falls jemand auf der Suche war nach einer Liedermacherin für diese Zeit: Sie ist gefunden.





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