Deutschland-Tour
4. Station: Übersee am Chiemsee
Man muss nicht einschiffen, um nach Übersee zu gelangen, dort kann man aber einschiffen, um über den Chiemsee zu fahren. Aus dem südlichsten Etappenziel unserer Deutschlandrundreise, einem 5 000-Seelen-Örtchen, stammen Stefan Dettl und seine Mitstreiter, die seit 2007 die Blasmusikkapelle LaBrassBanda betreiben.
Die Band bezeichnet ihre Musik selbst ironisch als Bayerischen Gypsy Brass oder Alpen Jazz Techno - und letzteres passte nie besser als dieser Tage. Denn begonnen bei - Nomen ist Omen - "Tecno" über "Nackert" in seiner Album-Version bis hin zu "Frankreich" sind zahlreiche Titel mit dumpfen Beats unterlegt, so dass Gesang und Bläser nur schmückendes Beiwerk für tanzbaren Pop sind. Dass LaBrassBanda mit dieser musikalischen Feinjustierung nicht nur bei den Radiohörern und hoch in den Charts landen können, zeigte unlängst "Nackert". Beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest 2013 landete die bayerische Combo insgesamt auf dem zweiten Platz und hätte uns sicherlich in Malmö besser vertreten als Cascada. In den deutschen Singlecharts platzierte sich der Song auf Rang 13.
Neben den Tanznummern, gibt es auch weiterhin einige Songs mit folkloristischem Balkan-Einschlag ("Holland") und ruhigere ("Sarajevo"), teils majestätisch schöne Instrumentals ("Russland", "Griechenland"), die "Europa" zu einem kunterbunten Mix werden lassen.
"Europa" erscheint übrigens bei dem gleichnamigen Label, das eher für Hörspiele für Kinder und Jugendliche (TKKG, Hui Buh, das Schlossgespenst, Die drei ???) steht und damit eine perfekte Überleitung für den morgigen Stopp unserer Deutschlandtournee bildet.
Das erste Lied auf der Platte "Tecno" weist nach vorn, es bebt, es lodert, es spricht zum Hörer. Jetzt geht's los. Aufi. Pack ma's. Trompeter Dettl spielt einen harten, klaren, technisch einwandfreien Ton - schnell und scharf. Wenn die Band ein Auto wäre, dann dürfte niemals eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt werden. (…)
Mit "Russland" reisen die Hörer in die Weite, in die Steppe. Das Lied klingt nach "Spiel mir das Lied vom Tod". Nach Prärie, Einsamkeit, nach Wildem Westen. Dettl hat es schon vor vielen Monaten geschrieben und stellte sich vor, wie das einstige Zarenreich wohl klingen mag. Dettls Russland ist nachdenklich, traurig, aber auch hoffnungsvoll, aufatmend.
Es setzt einen starken Kontrast zu "Holland", das sehr quengelig daherkommt, nörgelnd und eher an den Balkan erinnert. "Heijeijeijeijeijeijeijeijei, wooooow" singt Dettl hier. Sein Gesang - das sind Loopings mit doppelten Rittbergern, Auerbacher mit 360-Flips auf einmal performt. Wann holt der Junge Luft? Was singt er da eigentlich? Nichts ist zu verstehen. Aber eigentlich muss man bei dem raubeinigen Krawall auch gar nichts verstehen, so perfekt ist er einstudiert.
"Europa" ist ein Interrail-Ticket mit spontaner Zug- und Platzwahl. Es hält sich nicht an Vorgaben, folgt keinem Muster. Interpretiert nicht nur Länder, sondern mit "Opa" und "Jacqueline" auch Gefühlszustände. "Wir müssen erst noch sehen, bei welchem Lied die Leute abgehen werden", sagt Hofmeir. Der Tubist setzt seine Spielsteine auf "Z'spat dro". Die Töne jagen den Text oder andersherum, Ska bricht durch, drängt, fordert, stößt nach vorn, hob hob hob, der Nachschlag ist sauber gespielt - so wie schon bei "Autobahn".
Vielleicht wird "Z'spat dro" das nächste große Lied, das die Fans wieder und wieder einfordern werden. Ein Lied, bei dem sie die Beine in die Höhe werfen werden, die Arme im Takt schütteln und mit ihren Körpern gegeneinander hüpfen. Abfahrt.
(Spiegel)
Denn wer die Band nicht kennt, Europa also unvoreingenommen hört, wähnt sich unversehens in seltsam künstlichen Soundwelten, so flächig treiben Bass, Tuba, Posaune und Drums in Tecno über Dettls subkutanes Idiom aus selbstbewusst unverständlichem Bairisch. Und würde Vogerl gleich darauf nicht kurz mal bierzeltduselig auf die Oktoberfestvergangenheit der Band verweisen – Z’spat dro mit seinen (wirklich!) 150 bpm im Anschluss, das ambientartige Russland, die Datscha-Disco Holland, sodann der Deephouse-Verschnitt Schweden und natürlich Around the world, ein live-erprobtes Daft-Punk-Cover zum Schluss, all dies fände leicht nachverzerrt auch im Berliner Szeneclub Gehör.
Kein Wunder, könnte man meinen. Schließlich kommt das Quintett ohne genuine Akkordinstrumente aus, wie Hofmeier betont. E-Bass plus Tuba statt Gitarre – “eigentlich geht das gar nicht”. Dass es doch geht, zeigen indes nicht nur ausverkaufte Hallen bis nach Japan, sondern auch der Wechsel vom kleinen Trikont-Label zu Sony. Mehr aber noch dieses Album. Ihm fehlt zwar das Hitmodul des Vorgängers, der Schunkeleffekt, die Mithüpfverpflichtung. Dafür ist es in sich schlüssiger, vielgestaltiger und doch stringenter. Nennen wir es reif.
(Zeit)
Wenn nur der Dialekt nicht wäre... 6,5 Punkte
AntwortenLöschen"Nackert" in einer seltsamen Disco-Version, zwei bis drei eher schreckliche Titel, da bleiben für mich:
AntwortenLöschen6,5 Punkte