Ist nicht mein Bruder Jörg nicht mittelfrüher Sterne-Fan und Besitzer eines Universal Tellerwäscher T-Shirts? Dann muss...

Die Sterne - Flucht in die Flucht



















Ist nicht mein Bruder Jörg nicht mittelfrüher Sterne-Fan und Besitzer eines Universal Tellerwäscher T-Shirts? Dann muss ich ihn wohl einmal nach seiner Meinung zu "Flucht in die Flucht" fragen...

Was hab ich mir nur wieder dabei gedacht als ich, auf die Frage ob ich ein paar Sätze zum neuen Sterne-Album schreiben könnte, mit einem fast euphorischen “ja gerne“ antwortete? Als Fan der mittelfrühen Stunde, als Universal Tellerwäscher Shirt-Besitzer ist man ja irgendwie in der Pflicht, zumindest irgendwas positives aufs Papier zu bringen. Oder wenigstens etwas wohlwollendes. Mit “Flucht in die Flucht“ machen es einem die irgendwann zum Trio geschrumpften Sterne da allerdings nicht gerade leicht. 

Ok – das Cover sieht ganz gut aus. Und Olaf O.P.A.L. hat produktionsseitig auch eine wirklich spannende Proberaumästhetik hingeschraubt. Die steht im schönen Kontrast zum doch sehr dancefloorigen 2010er Album “24/7“. Jetzt ist das aber so, dass 24/7  zumindest als Fortführung oder Wieder-Aufgreifen des zwischenzeitlich verschüttet gegangenen Funk seine Berechtigung hatte. 
Flucht in die Flucht hingegen wirkt wie die Abkehr von allem, was Die Sterne ausmacht: Wo sind Frank Spilkers großartige Wortschöpfungen hin? Wo Thomas Wenzels charakteristische Bassläufe? Na gut – bei der Single  “Mein Sonnenschirm umspannt die Welt“, dem herausstechendsten Stück der Platte, packt Wenzel den Funk wieder aus. Und der Opener “Wo soll ich hingehen?“ ist sicherlich auch prinzipiell auf dem richtigen Weg irgendwie. Aber reicht das? Reicht das wirklich? 

Die Antwort lautet: Ja, das reicht. Wirklich. Denn, und dessen muss man sich bewusst sein, das Album macht Schluss mit der direkten Eingängigkeit und Sing-Along-Mentalität der Vergangenheit. Die Songs sind teils heruntergebrochen auf ihr Grundgerüst, die Aussagen reduziert auf das Wesentliche. Geschmacksexplosionen? Fehlanzeige. Vielmehr verlangen Die Sterne ihren Hörern Zeit ab. Zeit, den Langspieler zu erkunden, kennenzulernen und in seinem gesamten Umfang zu erfahren. Ihn wachsen zu sehen und sich spätestens beim fünften Durchgang dabei zu erwischen, bei “Innenstadt Illusionen“ mit dem Kopf zu wippen und den Refrain von “Hirnfick“ (Uuuuuuuuh Hirnfick, Hirnfick!) mitzusingen. Und plötzlich sind sie wieder da, Die Sterne, wie man sie kannte. Schließlich lagen die eigentlichen großen Momente der Band noch nie in ihren offensichtlichen Hits, sondern in den Stücken dazwischen. Und von denen gibt es auf Flucht in die Flucht jede Menge. 



Jetzt, endlich und amtlich, sind allerdings die Sterne wieder da. Ein Comeback mit Wucht. Für Flucht in die Flucht unterschrieben sie beim geschmackssicheren Berliner Indie-Label Staatsakt – und sind so zu direkten Kollegen von Ja, Panik geworden. Der Sound ist spröde, druckvoll und wandlungsfähig zugleich, zu Hause im Leisen wie im Lauten. Von heavy bis filigran, alles dabei, und alles groovt.

Schon der Opener „Wo soll ich hingehen?“ zeigt, wohin die Reise, nun ja: gehen soll. Schwungvoll wippender Rock’n’Roll ist das, angekränkelt nur von des Gedanken Blässe: „Wo soll ich hingehen, um ich zu sein?“, bis irgendwann auch die Instrumente nachdenklich werden, innehalten – und der Song über psychedelischen Gitarrengirlanden als flockige Northern-Soul-Nummer wie seine eigene Sonne plötzlich neu erstrahlt. Zumal es auf diesem Niveau weitergeht. Das balladeske „Drei Akkorde“ thematisiert leicht angewalzert und mit elektronisch verstärkter Percussion das Altern, „Ihr wollt mich töten“ ist eine bittere und böse getextete Folk-Miniatur.

„Menschenverachtendverliebt“ bricht los wie eine B-Seite von Dinosaur Jr. und „Innenstadt Illusionen“ beschäftigt sich mit sarkastisch gesprochenem innerem Monolog aus dem Epizentrum der Gentrifizierung: „Der Typ schnappt sich jetzt doch nicht den Parkplatz, vor dem ich hier blinkend stehe, oder?“, unterstützt von süßlichen „Uuuuh“-Chorgesängen. Lyrische und musikalische Dringlichkeit, hier haben sie sich wiedergefunden. Schön, sie Hand in Hand zu sehen. Um es zur Abwechslung mal auf seinen seriösen Fachbegriff zu bringen: Wow.
(Musikexpress)

Die Sterne auf Tour:
08.10.2014 Münster (Sputnikhalle)
09.10.2014 Köln (Gebäude 9)
10.10.2014 Stuttgart (Wagenhallen)
11.10.2014 Zürich (Exil)
13.10.2014 Frankfurt (Zoom)
14.10.2014 Heidelberg (Karlstorbahnhof)
15.10.2014 Erlangen (E-Werk)
16.10.2014 München (Strom)
17.10.2014 Graz (PPC)
18.10.2014 Linz (Posthof)
20.10.2014 Dresden (Beatpol)
21.10.2014 Leipzig (Conne Island)
22.10.2014 Berlin (Lido)
31.10.2014 Hamburg (Uebel & Gefährlich)

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