Wir haben einen Praktikanten bei Platten vor Gericht: Gem Ini lautet sein Name, er hat einen besonderen Hang zur deutschsprachigen Musik und wollte unbedingt einige neue Platten vorstellen.
Gem hat sich extra ein Rezensions-Template ausgedacht - das mögen wir ja, wie man an den Reihen „10 Fakten zum neuen Album von…“ oder „Die erste Vorladung“ ablesen kann. Dann schauen wir uns doch einmal die erste seiner vier Arbeitsproben an:
Der Trost der Zerbrechlichkeit: Das Paradies sucht auf Überall, wo Menschen sind das Glück im Detail.
1. Der Ersteindruck (Der Teaser/Hook)
Überall, wo Menschen sind ist das akustische Äquivalent eines Sonnenstrahls, der durch einen staubigen Raum fällt: bezaubernd, leicht melancholisch und voller kleiner Wunder. Florian Sievers' drittes Album unter dem Namen Das Paradies ist eine knappe, aber dichte halbe Stunde lyrischen Indie-Pops, der tröstet, ohne jemals banal zu wirken.
2. Sound, Produktion & Genre-Einordnung
Das Klangbild des Albums ist geerdeter und weniger verspielt als frühere Werke, behält aber die typische sphärische Leichtigket bei. Die Produktion (erschienen auf Sievers' eigenem Label Krokant) setzt auf eine Mischung aus analogen Elementen und subtilen elektronischen Texturen. Man hört flirrende Gitarren, sanfte E-Pianos und eine oft sanfte, aber treibende Rhythmussektion, die zeitweise Anleihen beim 80er-Jahre-Pop oder sogar bei Arthur Russell erkennen lässt.
Musikalisch bewegt sich Das Paradies in der Nische des tiefgründigen, deutschsprachigen Indie-Pop. Es steht in einer Reihe mit Künstlern wie PeterLicht oder KlickClickDecker – Musiker, die das Alltägliche poetisch aufladen. Es ist ein Sound, der bewusst unaufgeregt bleibt und dadurch eine besondere Intimität schafft.
3. Die Thematische Welt (Texte & Inhalt)
Das zentrale Motiv des Albums ist die Kapitulation und der Neuanfang – eine Ehrlichkeit, die schon im Opener "Florian gibt auf" steckt. Es geht um die Akzeptanz der Unvollkommenheit des Lebens und das Finden von Schönheit in den Fehlern und dem Abschied. Die Texte sind ein Sammelsurium an Aphorismen und Beobachtungen, die eher andeuten als konkrete Antworten zu liefern, was dem Hörer Raum für eigene Interpretation lässt.
Florian Sievers singt mit einer feierlichen Unaufgeregtheit von der "gebrochenen Realromantik". Die lyrische Stärke liegt in prägnanten, oft nachdenklichen Zeilen wie in "Die neue Illusion ist da": "Was gestern traurig war, ist, was ich heute mag." Dies fasst die thematische Welt gut zusammen: eine verschwommene, aber schöne Welt, in der sich Melancholie und Hoffnung die Waage halten.
4. Die Höhe- und Tiefpunkte (Tracks im Detail)
Ein absoluter Höhepunkt ist "An einem Kirschbaum in einem Sommer", ein schmissig-schöner Track mit sofortigem Wiedererkennungswert und starkem Refrain. Das Finale "Bei den Regendrops" ist ein Meisterstück des lyrischen Pops: Sievers imaginiert sich in ein Wasserkreislauf-Molekül, was das Album mit einem tiefsinnigen, fast meditativen Moment abschließt.
Ein kleiner Schwachpunkt ist die Kürze des Albums (knapp über 30 Minuten) und die durchgängig subtile Tonalität, die dazu führen kann, dass einige der ruhigeren, weniger herausstechenden Tracks wie "Brand neu second hand" als Füller wahrgenommen werden und die Dynamik bremsen.
5. Das Künstlerische Wachstum (Die Einordnung)
Im Vergleich zum Vorgänger Transit (und der ersten EP Goldene Zukunft) festigt Das Paradies seinen Status als Singularität im deutschsprachigen Pop. Das Album zeigt eine Reifung und Beruhigung im Sound. Es ist weniger rastlos und lauter als Transit, aber nutzt diesen Fokus, um eine noch tiefere emotionale Verbindung aufzubauen. Es ist der Beweis, dass Florian Sievers seinen eigenwilligen, lyrisch geprägten Stil perfektioniert hat und ihn nun mit großer Überzeugung und Wärme präsentiert.
6. Das Fazit (Zentrale Aussage)
Überall, wo Menschen sind ist ein lyrischer Garten, ideal für Hörer, die Musik zum Nachdenken und Durchatmen suchen. Das Album ist bezaubernd, verträumt und hallt noch lange nach – wie ein angenehmer Tag am See. Eine überzeugende Fortsetzung und eine klare Empfehlung für Fans des Indie-Pops mit Texten, die lieber Fragen stellen als Antworten liefern.
7. Vinyl Editionen
Die reguläre 12"-LP ist erhältlich. Es gibt keine direkten Hinweise auf eine farbige dieser Platte, aber frühere Alben wurden als White Vinyl veröffentlicht, was eine farbige Variante in der Zukunft wahrscheinlich macht.
Bewertungs-Matrix (Konsistentes Rating)
So, vielen Dank für deine Mühe, Gem! Das ist etwas prosaischer („akustische Äquivalent eines Sonnenstrahls, der durch einen staubigen Raum fällt“) als wir es bei Platten vor Gericht gewöhnt sind, aber ein starker Einstieg. So ein paar Kleinigkeiten sind mir in deiner Vorstellung für Das Paradies aufgefallen, nämlich dass die Schreibweise von KlickClickDecker nicht ganz richtig ist, ebenso die Behauptung, dass „Goldene Zukunft“ (mit 11 Songs in rund 40 Minuten) eine EP war und über zukünftige Vinyl-Veröffentlichungen zu phantasieren ist wenig hilfreich.
0 Comments