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29. August 2016

Abay - Everything's Amazing And Nobody Is Happy























Schon entzückt, dass Placebo Anfang Oktober ein neues Album veröffentlichen werden? Zu früh gefreut, denn "A Place For Us To Dream" wird eine 36 Songs starke Werkschau sein, die sich hauptsächlich auf Singles in alternativen Versionen konzentriert und mit "Jesus' Son" nur ein neues Lied präsentieren wird.

Wer jetzt enttäuscht ist, dem sei "Everything's Amazing And Nobody Is Happy" ans Herz gelegt. Hinter Abay stecken Aydo Abay, den man von Ken oder Blackmail kennt, und Jonas Pfetzing, der eigentlich für Juli Songs schreibt und Gitarre spielt. 

Die Ähnlichkeit zwischen beiden Bands ergibt sich in erster Linie durch Aydo Abays Stimme, die der von Brian Molko ziemlich ähnlich ist. Für eine größere musikalische Nähe müssten Placebo sich deutlich mehr dem Pop zuwenden ("Easy Ease"), mehr mit den wuchtigen Laut/Leise-Elemeneten  des Prog-Rock arbeiten ("The Queen Is Dead", "Different Beds"), dem Piano als Instrument mehr Raum geben ("The Queen Is Dead"), die typischen Songstrukturen aufbrechen und ausweiten ("Everything's Amazing And Nobody Is Happy") und sich mal wieder von einem bekannten The Cure-Titel inspirieren lassen ("1997 (Exit A)". 

Eigentlich ist es gar nicht so schlimm, dass kein neues Placebo-Album ansteht, wenn man "Everything's Amazing And Nobody Is Happy" besitzt.




Das Songwriting ist dementsprechend zwischen Pop und Indie-Rock angesiedelt, aber nicht zu glattgeschliffen. Der Name des Albums ist einer Louis CK-Comedy-Routine über ungerechtfertigte Unzufriedenheit entliehen. Dabei klingt Abays Weltsicht gar nicht so richtig amazing und alles andere als happy, erzählen die Lyrics doch von Umweltzerstörung und zwischenmenschlichen Enttäuschungen. Exemplarisch zeigt sich der Stil-Spagat von Abay im episch langen Titeltrack, der nach fünf Minuten in eine Gitarreneffekt-Kakophonie ausbricht und dann etwa zwei Minuten lang denken lässt »Ok, jetzt ist der Song aber wirklich vorbei«, um dann bei Minute Sieben doch nochmal die Kurve zu kriegen. Auch wenn allein die Stimme dazu zwingt, immer wieder an Blackmail zu denken und auch Pfetzings Songwriting ihn als Fan der Band ausweist, ist »Everything’s Amazing And Nobody’s Happy« alles andere als ein Aufguss des alten Sounds, sondern findet neue, interessante Facetten.
(intro)




Schönklang und leichte Brachialität treffen sich in diesen knapp 50 Minuten immer wieder zum zärtlichen Nahkampf, wobei sich letztlich in der Regel die Melodieseligkeit durchsetzt. Besonders schön geschieht ebendies in "1997 (Exit A)", einer flotten Gitarrenpop-Nummer, die perfekt zu den wärmsten Tagen des Jahres passt. Der Titelsong hingegen nimmt sich achteinhalb Minuten Zeit, um ein Panorama aufzuspannen, das beständig mit Licht, Schatten und den Wechselwirkungen dazwischen spielt. Im melancholischen "A boat" stehen dann wieder die Vocals und ein einsames Piano im Fokus, melodramatisch wiegt diese doch sehr klassische Halbballade im Wind, das drohende Gewitter bleibt aus. Und doch ist diese Nummer die vermutlich überzeugendste, dringlichste, gerade weil sie so nackt und minimalistisch daherkommt. Es ist schon eindrucksvoll, wie pointiert und schlüssig Abay auf ihrem Debüt-Album klingen. In Pfetzing scheint Aydo Abay einen neuen Kompagnon gefunden zu haben, mit dem er auf einer Wellenlänge liegt. Und auch wenn diese Band gerade erst in See sticht, so weiß man doch, dass in ihnen und durch sie ein wenig die früheren Blackmail weiterleben. Ahoi!
(plattentests)


Abay unterwegs:

13.09.16 Berlin, Privatclub
14.09.16 Hannover, LUX
15.09.16 Leipzig, Felsenkeller
16.09.16 München, Kranhalle
17.09.16 Bern, Rössli
18.09.16 Augsburg, Soho Stage
19.09.16 Wien, Chelsea
20.09.16 Stuttgart, Goldmarks
21.09.16 Frankfurt, Nachtleben


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