Die Tage werden länger, es grünt und blüht, die Nachbarn mähen ihre Rasen, lassen ihre Kinder darauf herumtollen, und holen die Terrassenmöbel aus ihrem Winterquartier. Und wer hat davon wieder nichts mitbekommen? Nadine Shah, englische Singer/Songwriterin mit berührender, leidender, ungewöhnlicher Altstimme, die in ihre tolle, kräftig rote Plattenhülle eine düsterere, verstörende Sammlung von 10 Songs gesteckt hat. Minimalistische, spröde Arrangements unterstützen die depressive, bedrohliche Grundstimmung, die nahezu von jedem Song auf "Fast Food" ausgeht. Ein Album für den Frühling oder nahenden Sommer klingt anders.
Nadine Shah nahm ihr zweites Album nach "Love Your Dum And Mad" (2013) erneut mit dem Produzenten Ben Hillier (Depeche Mode, Doves, Elbow, The Horrors), der sich auch ans Schlagzeug setzte, auf. Unterstützt wurden sie von Peter Jobson (I Am Kloot) am Bass und Nick Webb an der Gitarre. Das reicht aus für Shahs teils schroffen, teils theatralischen und phasenweise ungewohnt eingängigen ("The Fool") Mix aus Folk, Rock, Gothic, Blues und Kammerpop, der viele die Namen PJ Harvey, Nick Cave, Anna Calvi und Marianne Faithful rufen lässt.
In diesen Miniaturen geht es durchaus deftig zur Sache. Etwa in "Fool", einer auf nadelnder Gitarre aufsattelnden Verhöhnung eines Verflossenen, der sich wohl für besonders clever hielt, ausgerechnet gegenüber Shah, die als Nachfolgerin von Nick Cave und P.J. Harvey gefeiert wird, mit Einflüssen wie Cave und Kerouac zu prahlen und auf unverstandenes Softie-Schaf im Wolfspelz zu machen: "You, my sweet, are a fool. You, my sweet, are plain and weak", ätzt sie ihm nach. Auch in "Matador" und "Nothing Else to Do" gibt sie, zwar bruised and battered, die am Ende Überlegene. Manchmal ist aber auch sie selbst diejenige, die im Staub zurückbleibt, enttäuscht, benutzt, "washed up", wie es in einem Song heißt. Dann bleiben die Phantasien vom Vamp, der die Männer mit der High Heel zerdrückt, tatsächlich Träume einer Pulp-Heroine: "Oh, it's criminal, I'm stealing cars in my dreams", singt sie in "Stealing Cars", dem zentralen und besten Song des Albums. Trommeln, Gitarren und Gesang, mehr braucht es zumeist nicht, um diese Noir Storys zu illustrieren.
"Living" ist dann, ganz am Ende, der Cliffhanger, ein erster Ausblick auf Shahs nächstes Album über das Leben als mittelloser junger Mensch im turbokapitalistischen, eigentlich längst lebensfeindlichen London unserer Zeit. Dann wird diese furchterregende, faszinierende private Auto-Exploitation auch noch politisch.
(Spiegel)
(...) Aber doch, das funktioniert. Zum einen, weil Depeche-Mode-Dauerproduzent Ben Hillier, der auch auf ihrem zweitem Album FAST FOOD der musikalische Partner der englischen Musikerin ist, nicht nur in „Nothing Else To Do“ die düstere, bedrohliche Stimmung virtuos inszeniert. Vor allem aber, weil Shah mit ihrer vollen, samtenen, wundervollen Stimme auch den Beipackzettel von Kopfschmerztabletten vortragen und damit Menschen zum Innehalten, Durchatmen oder auch Weinen bringen könnte.
Eine Stimme, die ihr zwar nicht ganz passende, aber trotzdem ständige Vergleiche mit PJ Harvey und Nick Cave eingetragen hat und konsequent auf alle Koloraturen, auf jedes überflüssige Beiwerk verzichten kann, weil sie ein überirdisches Timbre besitzt. Eine Stimme, die immer noch unangefochten im Mittelpunkt der Songs steht, auch wenn die im Vergleich zum noch von Shahs Klavier dominierten Debütalbum LOVE YOUR DUM AND MAD sehr viel ausladender instrumentiert sind mit Gitarren, Bläsern und reichlich Elektronik. Man sollte also, wenn man nichts zu tun hat, außer sich zu verlieben, ruhig erst diese Lieder hören, die meistens von Verlust handeln.
(Musikexpress)
Nadine Shah in Deutschland:
20.05.15 Hamburg, Prinzenbar
21.05.15 Berlin, Privatclub
8 Punkte
AntwortenLöschenEtwas eintönig, dennoch gelungen.
AntwortenLöschen6,5 Punkte
Die Erwähnung PJ Harveys hätte mich schon warnen müssen.
AntwortenLöschen6 Punkte
Definitiv kein "Fast food". 8 Punkte
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