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3. Mai 2015

Mumford & Sons - Wilder Mind
























"They look like fucking Amish people." Liam Gallagher hat es schon immer gewusst und Mumford & Sons haben dies wohl mittlerweile auch eingesehen und präsentieren sich auf aktuellen Pressefotos in veränderten, modischen Outfits. Aber nicht nur das, auch ihren Sound haben sie komplett renoviert: Banjo, Mandoline und Akkordeon wurden aus dem Studio verbannt, Marcus Mumford muss die Trommel nicht mehr nebenbei mit dem Fuß bedienen, da nun ein richtiges Schlagzeug zum Einsatz kommt und die elektrischen Gitarren das neue Album dominieren. 

Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass sich das auf "Sigh No More" (2009) bewährte und perfektionierte Konzept bereits auf "Babel" (2012) wiederholte und zu langweilen begann. Da täuschten auch die steigenden Verkaufszahlen nicht drüber hinweg. Um so mutiger von Mumford & Co. nicht einen weiteren schwachen Aufguss des Debütalbums folgen zu lassen. Jedoch muss man lange suchen, um auf "Wilder Mind" einen packenden Song zu finden und mittelprächtige Stadionrock-Alben im Stile von U2 und Snow Patrol gibt es auch zu Hauf. Noch länger suchen muss man, wenn man positive oder gar begeisterte Plattenkritiken finden möchte, die meisten bewegen sich irgendwo im Spektrum zischen dem Verriss im Musikexpress (2/6 Sternen) und der mediokren Bewertung bei Plattentests (6/10). Alle begeisterten Kritiker haben für das Shooting des Plattencovers übrigens auf dieser Bank Platz genommen. Die Fans werden dennoch drölf Millionen Exemplare von "Wilder Mind" kaufen und noch mehr Konzertkarten, denn live werden Mumford & Sons sicherlich wieder zu ihrem Trademark zurückkehren.


Mumford & Sons haben ein Album aufgenommen, das alle Erwartungshaltungen negiert, das sich radikal vom bisherigen Katalog abwendet und einige der Kernzutaten der ersten beiden Platten völlig ignoriert. Man kann es mit einem Satz sagen. Der Folk ist weg. Der zweite Satz ist leider etwas länger: Marcus Mumford und seine Kollegen bemühen sich nun um eine Art Rockmusik, die aber nicht so recht rocken mag. Bezugspunkte, die wir während der Listening Session im Büro unseres Chefredakteurs ausmachten: Coldplay, Kings Of Leon, Gaslight Anthem. Zur Vorab-Single „Believe“ zog ein User bei Facebook gar Parallelen zu Rea Garvey, unrecht hatte er nicht.
Songs wie der Opener „Tompkins Square Park“, „Snake Eyes“ oder „Cold Arms“ bewegen sich komplett im Midtempo, bauen routiniert Spannungen auf, lassen diese wieder zusammenfallen, konzentrieren sich sehr auf sogenannte Atmosphären. Das Problem: Atmosphäre alleine langt nicht. Kein einziger Song dieses Albums bleibt hängen, kein Refrain ist von der Natur, dass man die Faust in die Luft strecken, dass man springen, dass man den zugehörigen Song sofort mit seiner eigenen Band nachspielen möchte. Und die Texte? Ach, die Texte. Erfüllen Klischees. Singen von den sieben Plagen und vom ewigen Verlangen. Bibelbilder, angewandt auf die Liebe. Erst bei dieser Platte merkt man, wie wichtig für Mumford & Sons diese tonale Lagerfeuerigkeit war. Sie war die tragende Wand ihrer Musik.
Für WILDER MIND haben sie sich immerhin professionelle Hilfe geholt. Aber wie auch der beste Therapeut nicht helfen kann, wenn der Patient sich schon am Fensterkreuz aufgeknüpft hat, richtet auch James Ford hier nicht mehr besonders viel aus. Wir hören ein paarmal einen stringent durchömmelnden Drumcomputer, die Band hat ja keinen wirklichen Drummer. Das ist keine gute Voraussetzung für Stadionrock, aber das nur am Rande. Wir hören des Weiteren Synthies, ab und an auch klimpernde Klaviere. Aber all das wirkt eigenartig uninspiriert, seltsam verschmiert. Als hätte Tine Wittler eine Wohnung dekoriert, aber mit verbundenen Augen.
(Musikexpress)




Um ganz ehrlich zu sein: Nach dem ersten Durchgang bleibt von "Wilder mind" wenig Memorables. Der straight aufbauende Stadionrocker "Snake eyes" und das choral befeuerte, coldplayeske "Only love" liefern jenen Ausbruch, den "Believe" nur halbherzig vollendet. Dagegen klingt das nölig abgeschmackte "Just smoke", als habe die Band Wettschulden bei Rea Garvey. Aber sonst? Erst einmal nicht viel, ein guter Fluss vielleicht, aber letztlich verklausuliert ein solches Attest nur charmant, wie träge und langweilig das alles doch über weite Strecken ist. Allerdings gilt es diesen Standpunkt doch stellenweise zu revidieren. Ein Beispiel: Der Titelsong ist rhythmisch nicht sonderlich anspruchsvoll, kontextuell aber ergibt diese Schlichtheit durchaus Sinn, da Mumfords Gesang nebst milden Keyboards in völlig unaufgeregter Atmosphäre eine neue Komfortzone entdeckt und aufblüht wie selten zuvor. So weit sind The War On Drugs in "Wilder mind" nicht entfernt.
Um diesen Referenzpunkt aufzugreifen: Wenn man sich für den Drum-Kit-Beat des Four-to-the-floor-Tracks "Ditmas" entscheidet und für die Krönung ein Riff aufbewahrt, dann doch bitte so, wie das The War On Drugs in Titeln wie "Red eyes" gemacht haben. Hier jedoch wirkt es wie eine unvollendete Bastelstunde. Da hätte der an Arctic Monkeys erprobte Produzent James Ford ruhig mal intervenieren können. Und ja, "The wolf" ist treibend, unter wirklichen Rocksongs aber doch so etwas wie die Pausentaste für Softpornos. Manchmal wagen Mumford & Sons bewusst den mysteriösen Stimmungsschleiertanz wie in "Broad shouldered beasts", an anderer Stelle aber scheint die alles durchfließende Melancholie den Grad eruptiver Möglichkeiten zu deckeln. Aber das Gemüt will ja auch nur wilder sein und nicht wild. Diesen Anspruch erfüllt das Album mit Nummern wie "Cold arms" zweifelsfrei. Deshalb färbte zwar die Aura von Aaron Dessners Studio in Brooklyn, wo einige der Demos entstanden, beispielhaft auf den prima Opener "Tompkins Square Park" ab und offerieren die Briten im Trackfinale die Light-Variante eines Strokes-Riffs. Aber letztendlich bleibt es ein Trennungssong von Mumford & Sons. Doch warum lassen wir nicht Milde walten? Die Band kann es doch auch.
(Plattentests)




Mumford & Sons in Deutschland:
17. + 18.07.15 Berlin, Waldbühne

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