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11. Mai 2015

Hot Chip - Why Make Sense?
























Hot Chip nehmen den Fehdehandschuh auf und zeigen den Citizens! direkt bei der Covergestaltung was Sache ist: Aufgrund eines besonderen Druckverfahrens werden sowohl LP als auch CD in 501 verschiedenen Farbvariationen erscheinen. Angeblich erhöht sich die Anzahl der unterschiedlichen Vinylausgaben noch auf 130 000 durch leichtes Verschieben der parallelen Linien beim Druck. 1:0 für Hot Chip.

Den Deluxe Versionen von "Why Make Sense?" fügen Hot Chip ebenfalls vier Bonus Tracks ("Burning Up", "Separate", "Move With Me" und "Re-Harmonize") bei und pushen so die Laufzeit auf über eine Stunde. Daher: 2:0 für Hot Chip.

Die ersten Singles "Huarache Lights" und "Need You Now" waren für Menschen, die auf Indiepop-Hits mit markanten, eingängigen Refrains (wie "Boy From School" oder "Ready For The Floor") warteten, enttäuschend. In dieser Kategorie können Citizens! Dank ihrer ersten Vorab-Singles verkürzen: 2:1.

"Why Makes Sense?" ist mit seinen zahlreichen Einflüssen und Spielarten das bisher abwechslungsreichste Album von Hot Chip geworden: House ("Need You Now"), Disco-Funk ("Started Right"), Rap-Einlage (in "Love Is The Future", so gut gelungen wie der "Holiday Rap" von MC Miker G & DJ Sven) und schmalziger R'n'B ("White Wine And Fried Chicken"). Meine Lieblingssongs stehen jedoch eher in der traditionellen Elektro-Pop-Ecke: "Dark Night" und "Why Make Sense?". Aufgrund der deutlich besseren Bewertungen durch die Kritiker (bei Metacritic hat "Why Make Sense?" mit einem Metascore von 82 einen riesigen Vorsprung vor "European Soul" mit 59 Punkten) kommen wir zu folgendem Endstand: Hot Chip - Citizens! 3:1.




Und, Jens Friebe, wie gefällt dir "Why Make Sense?"
Es ist mir klar, dass die „die erste Platte war immer noch die beste“-Attitüde einem die unsexy Aura eines missmutigen doktrinären Plattenhändlers verleiht. Aber ich kann es in diesem Fall nicht ändern. Nach der ersten, oder nein, seien wir nicht nerdiger als der Nerd, nach den ersten beiden Platten, mit denen ich sehr heiß sympathisierte, ist irgendwas zerbrochen bei Hot Chip oder bei mir oder zwischen uns. Etwas, nicht alles. Wenn eine neue Single im Radio läuft, freue ich mich, und immer noch bewundere ich ihre Einfälle und ihr Know How, aber eine gewisse Müdigkeit hat sich in die Freude geschlichen, eine gewisse Kälte in die Bewunderung.
Nun kann man sagen, ist ja normal, dass die Euphorie des ersten Kennenlernens verfliegt und die Schaffenskraft leicht erschlafft, aber in diesem Fall ist es eventuell noch was anderes. Vielleicht hat der Erfolg ganz speziell dieser Band nicht richtig gut getan, vielleicht hätten ihre Mitglieder nie erfahren dürfen, wie gut sie sind. Es scheint als wären sie dadurch gleichzeitig zu selbstbewusst und zu eingeschüchtert geworden. Es fehlen im Gegensatz zu früher sowohl der Charme der kleinen Geste als auch die genialische Unverschämtheit des Konventionsübertritts. An deren Stelle trat eine sehr ausgecheckte Gefälligkeit.
Wem die gefällt, der wird auch mit „Why make Sense“ sehr zufrieden sein. Meiner Urteilskraft entzieht sich die Platte und hält mich in ungewohnter Unentschiedenheit gefangen. Immer wenn ich mich entschließen will, sie gut zu finden, drängt sich ein Eindruck der Leere dazwischen; will ich aber mit ihr fertig werden und sie für ein schwach motiviertes, zu Tode kontrolliertes Machwerk halten, fesseln mich plötzlich die warmen, wohlgesetzten Synthies, reißen mich die Melodien mit und ich denke ich höre perfekten Pop. Stabil bestehen bleiben nur wenige Einschätzungen.
Die Härte und Wonkyness des Titelstücks ist interessant.
Das Schlagzeug ist meistens langweilig.
Phantasien über Funk stehen Hot Chip, wie „Started right“ beweist, immer noch sehr gut. Das Stück hat außerdem mit „You’re making my heart feel like it’s my brain“ die denkwürdigste Textzeile. Beschreibt, so fragt mein vom Hören schon ganz verhirntes Herz sich, sich die Platte in diesen Worten vielleicht selbst?




Wenn "Why Make Sense?" also musikalisch in die Offensive geht, so versagen sich Hot Chip dabei - Ehrensache! -, den Schritt zurück zu den bewährten Mitteln von erfolgreichen LPs wie etwa "One Life Stand" von 2010. Vielmehr schwelgen sie hier in Disco der reinen Lehre, also der 70er Jahre. Und machen paradoxerweise die Disco-Platte für Disco-Skeptiker. Für jene Zeitgenossen (wohl mehrheitlich fortgeschritteneren Lebensalters), die Disco als eskapistischer Musik einerseits schon ein unterschwelliges Grundmisstrauen entgegenbringen, andererseits ein- oder zweimal zu oft miterlebt haben, wie dieser Stil aus dem Hut gezaubert wird, wenn eine Band in demonstrativer (Selbst-)Ironie nach hipper Oberflächenpolitur lechzt.
Solcher Gimmicks sind Hot Chip unverdächtig. Sie führen einfach vor, wie man Disco wunderschön - und organisch wie nie zuvor - realisiert: Mit großzügig portioniertem Philly-Soul inklusive der charakteristischen Streicher und dem Clavinet Stevie Wonders sowie ordentlichen Funk-Bässen. Und natürlich mit Taylors hoher, dünner Schulbubenstimme, der diese Musik wie ein Maßanzug steht.
(Wiener Zeitung)


5 Kommentare:

  1. Nicht gerade das beste Hot Chip Album. 7 Punkte

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  2. Irgendwo las ich tatsächlich, dass es sich hier um das beste Hot Chip Album handelt. Nicht in meiner Welt.

    7 Punkte

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  3. In der Reihe der immer schlechter werdenden Hot Chip Alben der momentane Tiefpunkt.

    5 Punkte

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