Was von 2009 übrig blieb (IX) Erst war jahrelang gar nichts von ihm zu hören, und dann kam letztes Jahr plötzlich nicht nur ein neues Album,...

Luke Haines - 21st Century Man

















Was von 2009 übrig blieb (IX)

Erst war jahrelang gar nichts von ihm zu hören, und dann kam letztes Jahr plötzlich nicht nur ein neues Album, sondern auch ein Buch in den Handel. Also muss hier nachträglich gleich doppelt die Werbetrommel gerührt werden:

Luke Haines war mit seiner Band The Auteurs mittendrin im Britpo-Hype der frühen 90er Jahre - und irgendwo doch nicht recht dabei. Denn Haines & Co. nahmen mit ihren Texten über Psychopathen, Kinderschänder und brennende Flugzeuge und dem Baader Meinhof Nebenprojekt immer eine Außenseiterrolle ein, hatten auch nicht den kommerziellen Erfolg von Oasis, Blur oder Suede und erschlossen sich außerhalb Englands nur eine überschaubare Fangemeinde.
In seinem Buch „Bad Vibes. Britpop And My Part In Ist Downfall" rechnet Luke Haines nun mit dieser Phase ab und fast niemand kommt ungeschoren davon.
Am 01. Oktober 2010 erscheint auch eine deutsche Fassung des Buches („Bad Vibes. Britpop und der ganze Scheiß").

Vielleicht findet sich dann auch eine kleine Plattenfirma, die „21st Century Man" in Deutschland vertreibt, denn in England erhielt das Album zu Recht tolle Kritiken. Musikalisch bleibt Haines, der nach dem Ende der Auteurs noch hinter der Pop-Band Black Box Recorder steckte und wenig beachtete Soloalben veröffentlichte, seinen eigenen und typisch britischen Traditionen treu: Glam Rock-Stampfer („Wot A Rotter") trifft akustische Balladen mit Streichern und Glöckchen („Suburban Mourning", „21st Century Man") trifft klassischen Popsong mit 60ies Charme („Love Letter To London"). Auteurs-Fans dürften auf ihre vollen Kosten kommen, wer die Band und Haines' Werk nicht kennt, hat einiges nachzuholen.

Die limitierte Version enthält mit "Achtung Mutha" ein zweites, zusätzliches Album.




„21st Century Man" Live-Video


Auch seinem Faible für Getriebene und Außenseiterexistenzen bleibt der Songwriter treu.
Das Stück "Klaus Kinski" handelt von der Rückkehr des Schauspielers von den Toten. Sein Ziel: die Terrorisierung der wenigen Zuhörer, die 1971 bei der Skandalrezitation "Jesus Christus Erlöser" im Saal der Berliner Deutschlandhalle blieben. Haines verwendet Originalauszüge aus Kinskis Monolog und legt dem deutschen Egomanen die Zeilen "Who needs people? Who needs friends? They only drive yo 'round the bend" in den Mund. Sie könnten auch das Lebensmotto der misanthropischen Bühnenpersona des Briten sein.

Dennoch ist der Grantler in lyrischer Hinsicht nicht mehr ausschließlich auf Dauerzynismus abonniert. Das von sanften Akustikgitarren, Glockenspiel und einer pastoralen Orgel getragene Eröffnungsstück "Suburban Mourning" vergisst zwar nicht, die "Satanists who moved next door" zu erwähnen, entfaltet aber ansonsten eine nur leicht resignativ eingefärbte Idylle des Vorstadtlebens.

Überhaupt scheint die Zeit für melancholische Rückblicke angebrochen: Das Titelstück, eine streicherdurchwirkte Ballade mit Siebzigerjahre-Gitarrenlicks, ist eine Lebensbilanz, die das Geschichtliche mit dem Privaten verbindet. Im Songtext verknüpft Haines den vorgetäuschten Selbstmord des Politikers John Stonehouse in den Siebzigern mit dem eigenen Auszug aus dem Elternhaus, die schlechte "slap bass phase" David Bowies in den Achtzigern mit dem Dasein als "Star im Wartestand". So entsteht ein Mosaik der letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Dort liegen auch die musikalischen Wurzeln von Haines. Ein "21st Century Man" aber sei er, singt der 42-Jährige, weil er im 21. Jahrhundert sterben werde. Bis dahin dauert es hoffentlich noch viele Alben.
(taz.de)


Zum Weiterhören:



The Auteurs „Lenny Valentino" (1994) Video




Black Box Recorder „The Facts Of Life" (2000) Video

3 Kommentare:

  1. Das Buch: Kann ich dir nicht sagen, denn ich kenne nur Auszüge und warte auf die deutsche Version.

    Die Platte: 7 Punkte

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  2. "Bad Vibes" ist empfehlenswert, der Nachfolger "Post Everything" soeben erschienen und außerdem möchte Herr Haines auch noch den Preis für den beklopptesten Plattentitel 2011 erhalten (siehe rechts).

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